Der Architekt gehörte einst zur Gattung des uomo universale, des rundum gebildeten Renaissance-Idealmenschen. Architektur aus Büchern – diese Verbindung scheint heutzutage jedoch sehr zu schwächeln, da Architekten ja bekanntlich nicht lesen. Der Abend im Ungers Archiv mit zahlreichen und prominenten Besuchern zeigte allerdings ein ernsthaftes und reges Interesse der Branche an der baukünstlerischen Überlieferung, sind hier doch Anregungen zu erfahren, die der Büroalltag nicht hergibt.
Oswald Mathias Ungers pflegte eine rege Auseinandersetzung mit Architekturtheorie und –geschichte; fünf Jahrzehnte lang sammelte er Schriften, Kunstwerke und Modelle zur Architektur. Die Stiftung UAA will diesen Nachlass lebendig halten. Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe Ex libris waren Fritz Neumeyer, Professor für Architekturtheorie an der Technischen Universität Berlin und Hans Kollhoff, Berliner Architekt und Professor an der ETH Zürich eingeladen, je ein Buch aus Ungers Bibliothek vorzustellen.
Neumeyers Wahl fiel auf De Re Aedificatoria von Leon Battista Alberti (1452), die erste Theorie einer bürgerlichen Architektur und die erste Druckausgabe einer Architekturtheorie überhaupt. Während sein antiker Vorläufer Vitruv Architektur von den Säulenordnungen her denkt, definiert Alberti die Säule als Teil der Wand. Die Wand schafft Privatheit und ermöglicht damit gleichzeitig das Zusammenleben in einem Gemeinwesen. Die Säule symbolisiert Öffnung und schafft Verbundenheit zwischen öffentlichem und privatem Raum.
„Architektur ohne Architekten“
Hans Kollhoff widmete sich Karl Friedrich Schinkels Sammlung architektonischer Entwürfe (1820–1837). Auf seiner italienischen Reise von 1803 reist Schinkel frohgemut an den klassischen Stationen vorbei, um in Süditalien, besonders auf Sizilien alte Bauernhäuser zu bewundern: eine „Architektur ohne Architekten“, wie sie den Mittelmeerraum prägt. Es sind aus der Erde heraus modellierte Gebäudemassen oder durch Aushöhlung von Stein und Fels entstandene Räume, die ihn faszinieren.
Ob Palazzo Rucellai oder Berliner Bauakademie: Am Ende kommen beide, Alberti und Schinkel, zu einer Fassade, die ein tektonisches Abbild ihres Innenraums gibt, „denn die Wand an sich ist nur eine tote Fläche“, so Neumeyer. Ein gebauter Widerspruch zu dieser Aussage war der Veranstaltungsort selbst: Ungers ehemaligen Wohn- und Bürogebäude. Man merkte den Vortragenden und dem Publikum an, daß es Spaß machte, gerade an diesem bezugreichen Ort gedanklich in die Tiefe zu gehen. Die zum Vortrag präsentierten Originalstiche und –ausgaben waren nur ein kleiner Vorgeschmack auf weitere Schätze: an Themen für die nächsten Kapitel Ex libris besteht kein Mangel.
Weitere Veranstaltungen sind für den Herbst geplant
Ira Scheibe
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