Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

HEIMsuchung

Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart, eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn

Wenn der Architekt sein Schaffen als produktiv und sein Produkt als beständig empfindet, kann er sich freuen: das Haus wird gut. Doch was in dem Haus oder mit dem Haus geschehen wird, mit welchen Visionen oder Ängsten es bewohnt werden wird, darauf hat er keinen Einfluss mehr. Denn wie schnell ist alles dahin, das Haus, das Heim, das Glück, der ganze schöne Schein. Das Eigenheim entpuppt sich als emotionales Kartenhaus, der Kollaps ist Programm, der Schutzraum zerstört. Innen ist nichts mehr sicher und drinnen ist es schlimmer als draußen. Das Haus selbst wird zum Bösen, die Möbel zu seinen Verschwörern, die brennen, schmelzen oder dahin gehen.

Der, dessen Heim zum Unheimlichen wird, erlebt eine elementare Krise. Für die Architektur ist das ein Trauma, für die Kunst Thema und Inspiration. Die Ausstellung HEIMsuchung im Bonner Kunstmuseum, kuratiert von Stephan Berg und Volker Adolphs, zeigt in 21 zeitgenössischen Positionen die dunkle Seite des Hauses. Vieles mag den Besuchern zunächst harmlos, fast gewöhnlich erscheinen, doch bei längerem Verweilen und genauerem Ansehen entwickeln die Projekte ihren emotionalen Sog. So ist nicht der vertraut erscheinende Raum – ein Wohnzimmer, ein Elternhaus oder ein Vorgarten – das eigentlich Unheimliche, sondern die darin inszenierte Gefühlswelt eines Einzelnen, die zu teilen die Betrachter gleichsam gezwungen werden.

Nur echte Gefühle

Um sich vor der HEIMsuchung zu schützen, sollte man in der Ausstellung nichts glauben, denn nichts ist echt, alles nur Pappe, Schaum, Wachs, Modell oder Bild – nur die eigenen Gefühlen sind wirklich da. Das Unbehagen, das sich einstellt, wenn in der Videoinstallation „Three Rooms“ von Jonas Dahlberg die aus Paraffinwachs nachgebauten Möbel im Dämmerlicht ihrer Kulisse langsam schmelzen und schließlich verschwinden. Echt ist auch die Beklemmung, die die Fotografie „Flur/Corridor“ von Thomas Demand erzeugt, ein Bild, das man meint schon einmal gesehen zu haben. Doch es ist nur die Rekonstruktion eines Ortes in Papier und Pappe, ein ähnliches Bild des Originalschauplatzes, an dem der Serienmörder Jeffrey Dahmer gewohnt und mehrere Morde begangen hat, ging in den 90er Jahren durch die Presse. Und plötzlich weckt das Bild Erinnerungen an etwas, das lange her ist, weit weg geschehen ist und längst verdrängt wurde.

Doch die Angst vor Feuer oder Eis erscheint genauso begründet, so wird das brennende Zuhause im Video „Burn“ von Reynold Reynolds & Patrick Jolley ebenso unaufhaltsam zum Angsttraum wie das komplett von Eis überzogene Holzhaus in Chris Larsons Video „Deep North“. Wirklich ist die fatale Erkenntnis, dass auch hinter den weißgestrichenen Lattenzäunen der aufgeräumten Vorstädte nicht alles so hübsch ist wie es scheint, das zeigt das New Yorker Künstlerpaar Jennifer & Kevin McCoy mit „Suburban Horror“. Im Maßstab einer Modelleisenbahn sind zwei Dioramen aufgebaut, die von mehreren Kameras gefilmt werden. Erst mit Projektion dieser Aufnahmen entwickelt sich eine Geschichte, die harmlos und scheinbar idyllisch beginnt und sich schließlich – angelehnt an David Lynchs Film „Blue Velvet“ – zu einem blutigen Eifersuchtsdrama entwickelt.

Nur raus hier

Grade, wenn man sich fragt, ob man mit seinen eigenen Gefühlen noch länger am Rand all dieser fremden Abgründe stehen möchte, bietet das „Narrow House“ von Erwin Wurm einen komischen Ausstieg aus der Thematik. Sehr prominent steht im Außenbereich des Museums ein Modell von Wurms Elternhaus, auf ein Sechstel seine Breite zusammen geschrumpft, vollständig möbliert, retro-dekoriert und grade noch begehbar. Um ein solches Bild am Computer zu erzeugen, braucht es nur wenige Klicks, doch die wirkliche Erfahrung dieser skalierten Normalität ist die räumliche Umsetzung durchaus wert. So engstirnig wie das Haus sieht Wurm die Gesellschaft – eine einfache Erkenntnis, die keine emotionalen Spätfolgen befürchten lässt.

Uta Winterhager

Das Kunstmuseum Bonn zeigt die HEIMsuchung noch bis

25. AUGUST 2013

Zur Internetseite des Kunstmuseums Bonn

Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Katalog begleitet, der neben Abbildungen der Werke und Texten zu den Künstlern Essays von Volker Adolphs, Stephan Berg und Stephan Günzel enthält.

Das „Narrow House“ von Erwin Wurm kann nur Dienstag bis Samstag 14–17 Uhr und Sonntag 11–18 Uhr besichtigt werden. Mit gebuchten Führungen ist eine Besichtigung auch zu den anderen Öffnungszeiten möglich.

Achtung BAUSTELLE!

Im Untergeschoss bietet das Museum für Kinder eine

Baustelle für(un)sichere Räume an.

 

 

deep north

Deep North, Chris Larson, (Kitchen), 2008

C-Print, 91,4 x 91,4 cm, HD Video übertragen auf DVD/HD, 7:21 min

Courtesy magnus müller temporary, Berlin

Burn, Reynold Reynolds und Patrick Jolley, 2002 Videoinstallation, übertragen von 16mm, 10 min

flur

Flur, Thomas Demand, 1995

C-Print/Diasec, 183,5 x 270 cm

Courtesy Sprüth Magers Berlin London © VG Bild-Kunst, Bonn 2013

suburb

Suburban Horror (Detail), Jennifer und Kevin McCoy, 2003

Verschiedene Materialien, Installationsansicht Kunstverein Hannover

Narrow House, Erwin Wurm, 2010, different materials, 7 x 1,2 x 16 m, Courtesy Galerie

Thaddaeus Ropac, Saltzburg/Paris, installationview, 2013, Foto: Simon Vogel