Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Abgetankt!“

Vergessene Benzinpaläste: Tankstellen der 1950er Jahre neu entdeckt

Viele Autofahrer traten unwillkürlich auf die Bremse, als Joachim Gies mit seiner Kamera und dem Hochstativ am Straßenrand stand, weil sie eine Radarfalle vermuteten. Doch die Kamera  war nicht auf den Verkehr, sondern auf die alten, umgenutzten oder brachliegenden Tankstellen gerichtet, die der 29-jährige Kölner zum Thema der Abschlussarbeit seines Fotografie-Studiums an der FH Dortmund gemacht hat.

Die Auswahl, die Joachim Gies nun in der Ausstellung „Abgetankt“ im Düsseldorfer Haus der Architekten vorstellt, dokumentiert mit den geschwungenen, übergroßen Dächern, den weiten Vorfahrten und gläsernen Kassenhäuschen nicht nur die Architektur der 1950er Jahre, sondern auch deren Zeitgeist, Zukunftsglaube und Vergänglichkeitsängste. „Am Beispiel der Tankstellen können wir auch darüber diskutieren, wie wir mit dem Gebäudebestand der Nachkriegszeit umgehen und wie man für erhaltenswerte Bauten geeignete Nachnutzungen entwickeln kann“, erklärt Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung.

[ABGETANKT] - Joachim Gies
Köln, Deutz – Schnellimbiss © Joachim Gies „Abgetankt“

Am Straßenrand übersehen

Beispielhaft hat Joachim Gies den Zustand ausgedienter Tankstellen im Ruhrgebiet, im Sauerland, im Bergischen Land, sowie im Rheinland dokumentiert. Dabei fasst er seine Porträts in vier Kapiteln zusammen: „Essen und Trinken“ für gastronomische Nachnutzungen; „Auto-mobil“ dokumentiert Werkstätten, Gebrauchtwagen und Reifenhandel; in „quer-beet“ finden sich unter anderem ein Reisebüro, ein Friseursalon, eine Autobahnkapelle und Wohnungen in den Gebäuden der aufgegebenen Stationen; „Leer-stand“ schließlich erfasst die Gelände, die ohne Folgenutzung dem Verfall preisgegeben sind.

Die Adressen der ehemaligen Tankstellen recherchierte Joachim Gies u.a. anhand alter Telefonbücher. Rund 300 – davon vier in Köln – davon fuhr er an und stieß unterwegs auf immer weitere Exemplare. „Alte Tanken finden ist wie Pilze suchen. Hat man seine Sinne erst sensibilisiert, tauchen sie auf einmal aus ihrem verborgenen Dasein auf“, fasst Gies seine Erfahrungen zusammen und plant eine Fortführung des Projektes.

[ABGETANKT] - Joachim Gies
Köln, Nippes – Automobil-Verkauf © Joachim Gies „Abgetankt“

Verlassene Orte

Während seines Fotografie-Studiums hat Joachim Gies begonnen, sich systematisch und konzeptionell mit seiner neuen Umwelt auseinander zu setzen. In „Halde Hoheward“ (2010) untersuchte er den Strukturwandel an dem Beispiel einer ehemaligen Abraumhalde, die heute als Naherholungsgebiet genutzt wird. Die Abwesenheit von Menschen an einst belebten Orten wurde zu einem wiederkehrenden Thema seiner fotografischen Arbeiten, das auch in den Fotoreihen „Freibäder im Winter“ (2008) und „Spurensuche“ (2010) im Haus des verstorbenen Großvaters aufgegriffen wurde. „Diese verlassenen Orte haben für mich etwas Faszinierendes“, erklärt der Fotograf. Das dokumentarische Festhalten seiner Umwelt in Fotografien beeinflusste auch Joachim Gies‘ Arbeitsweise. Mit „Genauigkeit und Ruhe“ müsse er an die Projekte herangehen, um die richtige Zeit und Perspektive für die Aufnahmen zu finden.

[ABGETANKT] - Joachim Gies
Köln, Worringen – KFZ-Werkstatt (u. a. für Oldtimer) © Joachim Gies „Abgetankt“

61 seiner unheimlich charmanten Tankstellen-Fotografien, deren Motive zwischen Nostalgie und Schäbigkeit pendeln, hat Joachim Gies in einem Bildband herausgegeben, der hier bestellt und angesehen werden kann.

 

(red/uw)

 

 


„Abgetankt“ – Ausstellung und Buch von Joachim Gies

04.03. – 24.04.2015 Haus der Architekten Zollhof 1, 40221 Düsseldorf

Öffnungszeiten: Mo.-Fr., 08.00-17.00 Uhr. Eintritt frei.