Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Komplizen der Stadtentwicklung

Die zweite „theatrale Konferenz“ im Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“.

„Wir sind die Kritische Masse, die durch Köln gefahren ist“, berichtet Thomas Knüvener und präsentiert stolz seine orangefarbene Warnweste mit dem Ausrufezeichen darauf. „Ich hatte das Fragezeichen“, erzählt sein Kollege Thomas Quack. Die beiden untersuchen im Rahmen des Projektes „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ am Schauspiel Köln das Thema „Öffentlicher Raum und Mobilität“. Und so sind sie bei der zweiten „theatralen Konferenz“ mit einer Gruppe von 50 Leuten – alle in orangenen Warnwesten – von Mülheim zum Offenbachplatz, der derzeitigen „Außenspielstätte“ des Schauspiels Köln gefahren.

Zuvor haben sie in Mülheim verschiedene Orte erkundet, sich zum Beispiel mit dem Architekten des Wiener Platzes, Stefan Schmitz, getroffen, der ihnen erzählt hat, dass am Kopfende eigentlich noch ein kleines Hochhaus fehlt, aber auch seine Gedanken zur Entwicklung des Areals geschildert hat. Am Mülheimer Bahnhof hat sich die Gruppe vom Kioskbesitzer erzählen lassen, wie sich der Platz vor dem Bahnhof – und dadurch auch die Lage und Bedeutung des Kiosks – veränderte. „Wir möchten Geschichten einbinden und so erkunden, wie der öffentliche Raum sich verändert“, erklärt Thomas Knüvener das Projekt, „wir bauen aber auch selbst Sachen, die im öffentlichen Raum was machen sollen.“ So haben sie schon Sessel aus Sperrmüll gebaut, die am Ende der Schanzenstraße direkt von den Teilnehmern der Radtour ausprobiert wurden. Bislang hat sich die „Komplizenschaft“ – so nennen sich die Gruppen, die dauerhaft in das Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ eingebunden sind – alle zwei Wochen für ein paar Stunden getroffen, um ihre Interventionen im öffentlichen Raum zu realisieren. „Wir planen aber jetzt tageweise Aktionen, um auch größere Sachen bauen zu können“, stellt Knüvener in Aussicht, „jeder ist willkommen, noch mitzumachen.“

Die Gruppe "Raumfähre" ist mit den Fahrrädern unterwegs vom Depot in Mülheim zum Offenbachplatz. Foto: Mirko Plengemeyer
Die Gruppe „Raumfähre“ ist mit den Fahrrädern unterwegs vom Depot in Mülheim zum Offenbachplatz. Foto: Mirko Plengemeyer

 

Gegenstände und Geschichten

Das gilt auch für die „Wunderkammer“ von Markus Ambach und Kay von Keitz, die am 19. November einen Workshop veranstalten, um ihre „Komplizen“ zu finden. „Heute haben wir uns weniger auf die Suche nach Gegenständen für die Wunderkammer begeben, als zu vorzuführen, wie wir die Stadt erkunden“, erzählt Kay von Keitz über den Weg seiner Gruppe von Mülheim zum Offenbachplatz. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die möglichen Fundstücke direkt aufgegessen wurden: „Wir waren in der einzigen Pferdemetzgerei, die es noch in Köln gibt – und die Leute haben richtig zugelangt.“ Eigentlich ging es aber darum, sich die Geschichten von dem Ehepaar erzählen zu lassen, denen die Pferdemetzgerei gehört. Und das ist genau die Idee der Wunderkammer: Die Geschichten eines Ortes zu hören und sie am Beispiel von Gegenständen zu erzählen. „Die Menschen reden gerne“, so Kay von Keitz, „sie wollen einfach nur mal gefragt werden.“

Wie genau die Sammlung von Gegenständen und Geschichten am Ende aussehen soll, weiß er noch nicht, auch das soll mit der Gruppe entwickelt werden. „Wir suchen gerade ein Ladenlokal in Mülheim“, berichtet Kay von Keitz, „damit die Sammlung über die nächsten Monate bis zum Sommer wachsen kann.“ Es soll sich aber nicht auf das Ladenlokal beschränken, in jedem Fall wird es Begegnungen mit „echten Menschen“ geben, eventuell auch eine inszenierte Tour durch den Stadtteil oder einen Guide, mit dem man selbst Routen gehen kann. „Normalerweise bewegen wir uns alle sehr funktionalistisch in einer Stadt“, erläutert Kay von Keitz, „es ist aber nur eine Frage der Wahrnehmungshaltung, was man von einer Stadt erfahren kann. Man muss einmal die Aufmerksamkeit wecken.“

 

Schlaglöcher und Schaumstoff-Arme

Das Performance-Kollektiv „dorisdean“ besteht aus fünf Personen ohne und drei mit körperlichen Einschränkungen. Bei ihrem Spaziergang wollten sie die Aufmerksamkeit vor allem darauf lenken, wie eine Stadt konzipiert sein muss, um niemanden auszuschließen. Dazu verteilen sie „Abweichungen“, das können Augenbinden oder Ohrenschützer sein, aber auch Schaumstoff-Arme oder Rollstühle. „Es ist spannend, wie unterschiedlich die Menschen damit umgehen, wie unterschiedlich sie sich auch behindern lassen“, erzählt Miriam Michel vom Kollektiv „dorisdean“, „aber wir hatten ein Spitzenteam. Zum Beispiel haben die Rollstuhlfahrer den Blinden sofort gesagt: ‚Du schiebst und ich sag dir den Weg.'“

 

Die Teilnehmer des Spaziergangs von "dorisdean" kommen am Offenbachplatz an. Foto: Vera Lisakowski
Die Teilnehmer des Spaziergangs von „dorisdean“ kommen am Offenbachplatz an. Foto: Vera Lisakowski

 

„dorisdean“ gehört nicht zu den „Komplizenschaften“, sondern war nur für die zweite „theatrale Konferenz“ dabei. „Wir möchten die Aufmerksamkeit auch darauf lenken, wie unterschiedlich die Behinderungen sind“, berichtet Michel, „am Rheinufer hat man eher mit Schlaglöchern zu tun, in der Innenstadt sind es die Blicke, die dafür sorgen, dass man innerhalb dieses gesellschaftlichen Konstrukts nicht mehr dazugehört.“ Ihren Weg von Mülheim zum Offenbachplatz haben sie in eine vermeintliche Wette gepackt: Das Schauspiel Köln hätte gewettet, dass sie es nicht schaffen, 14 Menschen mit körperlichen Einschränkungen zum Offenbachplatz zu bringen. Beinahe hätten sie verloren, denn sie waren nur 13 – aber dann haben sie unterwegs die Rollstuhlfahrerin Patrizia getroffen, die sich spontan bereiterklärt hat, mitzukommen. Wette gewonnen.

Vera Lisakowski 

 

Beim Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ geht es im November weiter mit den einzelnen Komplizenschaften: Am 6.11. trifft sich die Gruppe „Mülheimer Zukunftskiste„, am 19.11. ist der Workshop der „Mülheimer Wunderkammer„. Immer am zweiten Mittwoch des Monats, im November also am 9.11., sind die „Meetings on the other side“ als Jour Fix am Bauwagen unter der Mülheimer Brücke. Und am 25.11. findet die Konferenz „Stadt und Theater Denken“ im Depot statt.

 

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Am 25.11.2016 findet die Konferenz „Stadt und Theater denken“ statt – wir werden berichten.