Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

21.000 Schritte

Die „Passagen“ als Fitness-Parcours zu Design und Architektur in Köln

Flanieren oder strategische Planung? In jedem Fall machen die „Passagen“ den Fitness-Tracker glücklich, denn die Ausstellungsorte verteilen sich über die ganze Stadt. Wir haben uns für die strategische Planung entschieden – auf der Suche nach der Architektur in den „Passagen 2019“. Und wo wäre es dann besser anzufangen, als im Ungers-Archiv für Architekturwissenschaft? Strategisch sinnvoll, denn es ist in Müngersorf, weit ab vom Passagen-Schuss. Die Ausstellung über den Architekten Max Dudler (150) zeigt nicht nur die Fotos, die Stefan Müller vom Hambacher Schloss, der Stadtbibliothek Heidenheim oder dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum gemacht hat, sondern auch die Stühle und Tische die Max Dudler entworfen hat. Auf den ersten Blick wirken sie wie Originale einer vergangenen Zeit. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt man das Moderne ihrer klassischen Formensprache.

Möbel von Max Dudler und Fotos von Stefan Müller von Möbeln von Max Dudler im UAA. © Vera Lisakowski

Irgendwo zwischen Tradition und Moderne bewegt sich auch die Zentralmoschee mit ihrer aufregenden Architektur und der traditionellen Innenausstattung. Die Geschichte der Ditib, des Vorgängerbaus, des Neubaus und des zwischenzeitlichen Provisoriums dokumentiert eine Fotoausstellung (124), die aus dem Archiv der Moschee zusammengestellt wurde. Die Fotos stellen dabei oft die gleichen Szenen in unterschiedlichen Zeiten gegenüber, machen vor allem den Wandel des Raumes und seiner Elemente deutlich. Der Besuch der Ausstellung soll mit einem Besuch des Gebetsraumes verbunden werden, Führungen werden immer dann angeboten, wenn sich genug Besucher finden. Am 17. Januar um 18 Uhr gibt es einen Teeabend mit Vortrag zum Thema „Sakrale Zentralbauten in Köln“.  

Perspektivwechsel heißt die Ausstellung der Hochschule OWL für Architektur und Innenarchitektur, die in St. Michael am Brüsseler Platz gezeigt wird. © Vera Lisakowski

Vom einen sakralen Bau kann man direkt weiterziehen in den nächsten: In der Kirche St. Michael am Brüsseler Platz präsentiert sich die Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur (33). Die Studierenden zeigen mediale Installationen im Kirchenraum, von denen aber nur wenige direkt Bezug nehmen. Mit Virtual Reality und der Figur, die die Verbindung zwischen Mensch und Social Media verkörpert, sind sie aber ganz auf der Höhe der Zeit. Ein weiteres studentisches Projekt beschäftigt sich mit dem Ebertplatz. Er ist ein großes Thema in der Stadt – und scheint auf einem guten Weg. In der Ebertplatzpassage im Laden 7 präsentiert die KISD der TH Köln das Projekt „Die Unsichtbare Stadt“ (146), das sich mit Planungen und Aneignungen des Platzes befasst. Am 18. Januar ab 18 Uhr wird die Saisoneröffnung mit verschiedenen Akteuren der Ebertplatz-Initiative gefeiert. 

Wer den Ebertplatz schon für einen unwirtlichen Ort hält, der sollte sich unbedingt den Bunker am Bahndamm an der Gladbacher Straße ansehen. Eine echte Entdeckung – wie auch das Design darin. Vier junge Designer – Karoline Fesser, Klemens Grund, Tim Kerp und Thomas Schnur – haben sich unter dem Titel „Generation Köln“ (10) hier zusammengefunden und zeigen Entwürfe, die einen eigenständigen Stil demonstrieren. Hier geht es um das Experiment und die Idee, nicht um gefällige Verkaufsargumente. Eine schöne Verbindung zu den Elementen des Stadtraums schafft Tim Kerp, der Bilder eines Tischs aus Fahrradständern – mit Schloss daran – zeigt, oder sich ein Sideboard ausgedacht hat, das die türkis-goldenen Bauelemente des 4711-Geländes aufnimmt.

Auch in ihrem 30. Jahr entfalten die passagen in Köln wieder ihr ganzes Panorama. © Vera Lisakowski

Gefälliger ist es in der Pattenhalle, wo bei der „Designers Fair“ (69) eine verdächtig hohe Beistelltisch-Dichte herrscht. Das Gegenprogramm bildet dort die Akademie für Gestaltung der Handwerkskammer Münster – mit Materialrecherchen zu Algen, Hanf, Birke oder Ananas-Abfällen und den aus den Ergebnissen gestalteten Objekten. Upcycling und Nachhaltigkeit scheinen ein großes Thema zu sein. Auch im Apartment, das die Wohn-Community „So leb ich“ (9) im Luxushotel eingerichtet hat, ist das Schlafzimmer komplett mit nachhaltig gefertigten Holzmöbeln ausgestattet. Begeistert berichten die Gründer des Portals von den Wachstumsraten des Herstellers – und von den Möglichkeiten des „Smart Homes“. So werden unter neugotischen Bögen jetzt die Lampen mit Sprachsteuerung angemacht und an den originalen Metallrahmen der Fenster prüfen Sensoren, ob die Heizung nicht runtergedreht werden müsste.

„So leb ich“ nicht, denkt sich sicherlich der ein oder andere im Luxushotel QVEST. © Vera Lisakowski

Zusammenspiel von Alt und Neu

Wo „Smart Home“ und nachhaltige Möbel heute die „Zukunft des Wohnens“ verkörpern, war es vor knapp 100 Jahren etwas handfester: Die „Frankfurter Küche“ verkörperte als Vorläufer der Einbauküche das zukünftige Glück der Hausfrau. In der Südstadt haben wir sie entdeckt: Der Laden „Leo Leo“ (59) lockte eigentlich mit alten Stadtansichten in Köln-Fotos der 1960er Jahre. Direkt daneben haben sie aber zum Bauhaus-Jubiläum eine originale, wunderbar dreckig-blaue Frankfurter Küche aufgestellt. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit bietet der Laden auch sonst Vintage-Gegenstände und Möbel – früher hätte man wohl Trödel gesagt – als Kontrast zum Design von heute.  

Eine echte Frankfurter Küche! Das taubenblaue Prachtstück versteckt sich unter der Nummer 59 in Leo Leo. © Vera Lisakowski

Am Rheinufer entlang bewegen wir uns wieder zur Architektur – zum Wohn- und Bürohaus von Walter von Lom von 1991, in das sich das junge Architekturbüro „Slow“ eingemietet hat. Wer Höhenangst hat, wird die Ausstellung (49) dort wahrscheinlich nicht sehen können, denn im Zentrum des Baus befindet sich ein mehrgeschossigr Lichthof mit Glasböden und Glastreppe. Wer sich traut, kann das Archiv der Modelle von Walter von Lom seit seiner Diplomarbeit von 1966 bewundern und die Verbindung suchen zu „Slow“, deren markantestes Projekt derzeit sicher das Gebäude in Holz-Systembauweise zum Selberbauen ist. Vom Architekten in Zusammenarbeit mit dem Bauherren geplant kommt es vorgefertigt und mit Bauanleitung an – angeblich auch für Menschen mit geringem handwerklichen Geschick und rudimentärer Werkzeugausstattung geeignet.

Dialog zwischen Orten und Generationen © Vera Lisakowski
Auch für Menschen mit geringem handwerklichen Geschick: SimpliciDIY in Holz- Systembauweise zum Selberbauen. © Vera Lisakowski

Absacker in Ehrenfeld

Eigentlich wollten wir die Tour an dieser Stelle ja beenden, aber „Slow“ hat Postkarten zum Selberdrucken entwickelt, die auf denen die Strecke von einem Passagen-Ort zum anderen eingezeichnet ist. Und da die Idee ist, dass die Postkarte den auf ihr aufgedruckten Weg auch in der Realität zurücklegt, bringen wir sie nach Ehrenfeld – zum „Bunker k101“ (119-121). Lounge-Atmosphäre mit Musik und Gin Tonic ergänzt die Ausstellung des Netzwerks „Kölndesign“. Darunter unter anderem die Street-Photography von Georg Müller mit ihren Gegenüberstellungen von ins Absurde driftenden Motiven oder die märchenhaft überstrahlenden Nachtaufnahmen von Andreas Helweg.

Hinsetzen und einen Drink nehmen ist allerdings für uns heute nicht drin – wir würden nach dem Laufprogramm wohl nicht mehr aufstehen. Also ab nach Hause, das Passagen-Heft gegriffen und schauen, welche der 150 Punkte wir noch unbedingt sehen müssen. Apropos Heft: So fortschrittlich das Design auf den „Passagen“ auch im 30. Jahr ist – so wünschenswert wäre es doch, wenn auch die Technik mithalten würde. Eine mobil nutzbare App oder Karte, auf der man die Strecke – bestenfalls noch anhand der Öffnungszeiten – planen kann, würde die Strategen unter den Besuchern sicher begeistern. Womöglich allerdings für noch mehr als 21.000 Schritte beim Rundgang sorgen.  

Vera Lisakowski

passagen mit Index, Timetabel, Register, Stadtplan und Suche

() Die Zahlen zwischen den Klammern entsprechen den Nummern des passagen Kataloges.