Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Impulse aus der temporären Nutzung

Welches Potenzial haben Bahnbögen? Antworten aus der Ehrenfelder Hüttenstraße

„Als ich das erste Mal in Köln war, bin ich zufällig durch diese Straße hier gegangen und fand sie etwas befremdlich – ich hatte ein wenig Angst, obwohl ich gar kein ängstlicher Typ bin.“ Jetzt ist Giuseppe Grant vom römischen Architekten-Kollektiv Orizzontale Studio bei einer dreiwöchigen Residenz in Köln – und bearbeitet im Projekt „Transurban Residency“ genau diese Straße, die Hüttenstraße in Ehrenfeld.

Recht neu eingezogen ist der Afroshop in einen der Bahnbögen nahe des Bahnhofs Ehrenfeld. Foto: Vera Lisakowski
Recht neu eingezogen ist der Afroshop in einen der Bahnbögen nahe des Bahnhofs Ehrenfeld. Foto: Vera Lisakowski

In der Tat bietet die Hüttenstraße Potenzial für einen Milieu-Krimi, so wie sie sich an der Bahntrasse entlang schlängelt: Auf der einen Seite eine Gründerzeit-Häuserzeile, mal mehr, mal weniger gut gepflegt, direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite in sechs Metern Höhe die Bahnlinie. Darunter Bahnbögen, die meisten von ihnen sind normalerweise nur mit Bauzäunen verschlossen. In der Nähe des Ehrenfelder Bahnhofs befinden sich in einigen der Bahnbögen auch Geschäfte oder Werkstätten, alles aber wirkt provisorisch, die Bürgersteige sind schmal, die Straße stark befahren und immer an beiden Seiten zugeparkt.

Wohnzimmer auf Zeit im Bahnbogen

Ein Teil des Forschungsteams - mit gesammelter Dada-Lampe im temporären Wohnzimmer: Giuseppe Grant, Margrit Miebach, Dana Kurz (v.l.). Foto: Vera Lisakowski
Ein Teil des Forschungsteams – mit gesammelter Dada-Lampe im temporären Wohnzimmer: Giuseppe Grant, Margrit Miebach, Dana Kurz (v.l.). Foto: Vera Lisakowski

In einem der offenen Bahnbögen nahe der Subbelrather Straße hat der Verein artrmx einen Container als Büro und Ideen-Sammelzentrum für die Nachbarschaft eingerichtet. Seit Mitte Mai konnten die Leute hier vorbeikommen und ihre Anregungen für die Nutzung der Bahnbögen einbringen. „Es sind so viele, dass wir weniger zum Arbeiten kommen, als ich gedacht habe“, berichtet die Architektin und Urbanistin Dana Kurz aus dem Forschungsteam. Die Residenz am Ort der Forschung ist elementarer Bestandteil dieses vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft, der Stadt Köln und der Bezirksverwaltung Ehrenfeld geförderten Pilotprojektes. Dabei erforscht ein interdisziplinäres Team das Potenzial einer temporären Nutzung der Bahnbögen.

Seltener Anblick: offener Bahnbogen in der Hüttenstraße in Ehrenfeld. Foto: Vera Lisakowski
Seltener Anblick: offener Bahnbogen in der Hüttenstraße in Ehrenfeld. Foto: Vera Lisakowski

Denn die sind schon lange ein Thema: Sie gehören der Deutschen Bahn AG, sind aber seit 2006 an die Bahnbögen GmbH verpachtet und sollen zur kulturellen und gewerblichen Nutzung weitervermietet werden. Sie sind aber feucht und müssen saniert werden, eine dauerhafte Nutzung ist für die meisten der Bahnbögen derzeit ausgeschlossen. „Was kann temporäre Architektur bewirken?“, sei eine der zentralen Fragen der „Transurban Residency – Building Common Spaces“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Margrit Miebach vom Verein artrmx, „in drei Bögen sollen architektonische Installationen temporär eine Vision davon geben, wie man das zwischennutzen könnte.“

Ideen aus der Nachbarschaft

Dazu ist das Projektteam auch in der Nachbarschaft umhergegangen, hat Impulsvorträge organisiert und in Erkundungstouren die Eindrücke an einzelnen Orten ermittelt, sie haben mit Anwohnern und Gewerbetreibenden gesprochen, Leitfaden-Interviews geführt – und Gegenstände gesammelt. So ist ein alter Teppich aus dem Haus direkt gegenüber Teil des Wohn- und Arbeitsbereiches auf dem Bürgersteig vor dem Container und ein Gebrauchtwarenhändler aus einem der Bahnbögen hat Teile des Bücherwagens beigesteuert. „Die Gewerbetreibenden mussten sich ihre Bögen komplett selbst aneignen, sie renovieren“, erklärt Dana Kurz, „dadurch haben alle eine besondere Beziehung zu den Bahnbögen“.

Eindrücke aus den Erkundungstouren. Foto: Vera Lisakowski
Eindrücke aus den Erkundungstouren. Foto: Vera Lisakowski

Und auch sonst scheint die Gegend – so unwirtlich sie wirkt – für die Nachbarschaft Potenzial zu bieten. Die zusammengetragenen Ideen reichen von einem überdachten Spielplatz über einen Markt im Stil von „Blade Runner“ oder einen Umschlagplatz für Waren, die dann mit dem Fahrrad weitertransportiert werden bis zu einem einfachen Hotel. Die Ideen und Interviews werden nun ausgewertet und Ende August in einer Publikation veröffentlicht. Sichtbarer wird aber das Festivalzentrum des „CityLeaks Festivals“ (31.8.-21.9.) werden, das in drei der Bögen als temporäre Konstruktion entstehen soll. „Momentan planen wir drei unterschiedliche Nutzungen“, erklärt Giuseppe Grant, „einen Bogen als öffentliches Theater, einen als Kiosk und Ausstellungsraum und einen als Arbeitsbereich für das Festival.“ Dabei soll es sich um Holzkonstruktionen handeln, die mit Freiwilligen gemeinsam vom 9.-30. August aufgebaut werden. „Die äußeren vier Meter der Bahnbögen, mit denen die Bahnlinie in den 1990er Jahren erweitert wurde, lassen wir offen und machen nur einen Holzboden hinein“, fährt Grant fort, „wir möchten viel öffentlichen Raum schaffen, nur der Kiosk und der Arbeitsbereich werden nachts geschlossen.“ Und da sieht Grant die Verbindung zu seiner italienischen Heimat, wo öffentlicher Raum schon aus Wettergründen viel stärker genutzt werde, als hier.

Ideensammlung für die Bahnbögen. Foto: Vera Lisakowski
Ideensammlung für die Bahnbögen. Foto: Vera Lisakowski

Anstoß für eine Entwicklung

„Im Idealfall ist unser Projekt eine die Basis für eine Entwicklung, die danach starten kann“, hofft Dana Kurz einen Impuls geben zu können. Schon jetzt merke man, wie sich der Ort durch die Präsenz des Teams verändere – so sei das Ordnungsamt ganz froh, denn es gebe um den Container herum derzeit nicht so viele Falschparker. Diese Wirkung funktioniert aber auch andersherum, die Residenz verändert die Haltung der Macher zum Ort. Ganz plakativ formuliert Giuseppe Grant: „Jetzt habe ich hier auch keine Angst mehr.“

Vera Lisakowski

Wer im August am temporären Festivalcenter mitbauen möchte, kann sich mit dem Betreff „Festival Center“ unter engage@cityleaks-festival.com melden.

Weitere Informationen und aktuelle Termine auf der Facebook-Seite des Cityleaks-Festivals.

1 Kommentar

Nicht zu unterschätzen ist, dass bereits davor eine Bürgerinitiative entstanden ist, die danach zum Verein geworden ist und sich seitdem für eine Revitalisierung der Bahnbögen einsetzt. Wir sind zuversichtlich, dass wir in naher Zukunft Fortschritte werden erreichen können.