Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Die geografische Mitte der Stadt

Ausgerechnet ein Mercedesstern wurde zum Wahrzeichen der Bonner Republik

Dass ausgerechnet ein leuchtender Mercedes-Stern zu einem Wahrzeichen der kleinen Bundeshauptstadt am Rhein wurde, war bestimmt nicht geplant. So wie vieles hier nicht oder nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit oder dem Vorbehalt des Provisoriums geplant wurde.

Genau zwanzig Jahre nach ihrem Dienstantritt als Regierungssitz war die Stadt Bonn durch eine umfangreiche Eingemeindung so angewachsen, dass sich ihr geografischer Mittelpunkt vom historischen Zentrum auf eine Kreuzung an der Grenze zwischen Innenstadt und Regierungsviertel verschob, die damals erst seit Kurzem den Namen »Bundeskanzlerplatz« trug.

Bonn-Center, Bonn-Gronau – Baujahr: 1968/69, Architekt: Friedrich Wilhelm Gerasch; Zustand Juli 2014 © Foto: Eckhard Henkel / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 DE

Der geografische Mittelpunkt ist eine Formalie, die im tatsächlichen Leben einer Stadt mal weniger, mal mehr Bedeutung hat. In Bonn war sie 1969 insofern bedeutend, als dass ebendort das Bonn-Center eröffnet wurde, bestehend aus einem 18-geschossigen Hochhaus, einem fünfgeschossigen Seitenflügel und einer eingeschossigen Ladenzeile. Außer den von Botschaften und Bundestagsfraktionen genutzten Büros und Konferenzräumen wurden hier ein hochklassiges Hotel, ein Restaurant, ein Friseur, ein Supermarkt, Bankfilialen und eine Art Kulturkeller mitgeplant. Die privaten Bauherren boten nun erstmals in dem als „Dauerprovisorium“ sich etablierenden Bundesviertel neben Arbeitsplätzen auch eine Art von Alltags-Infrastruktur. Das Bonn-Center wurde zu einer modernen Variante des Bonner Stadtzentrums. Dies alles geschah nicht ohne den Hintergedanken, dass sich der mit äußerster Nüchternheit geplante Gebäudekomplex auch nach einem möglichen Ende der Ära als Regierungssitz weiterhin lukrativ nutzen lassen sollte.

Blick über das ehemalige Kanzleramt, im Hintergrund das Hochhaus des Bonn-Centers 2016 © Foto Uta Winterhager

Der gut acht Meter hohe Mercedes-Stern auf dem Dach des Bonn-Centers war zunächst nichts weiter als ein Markenzeichen: Leuchtreklame, jedoch äußerst prominent platziert, da Bonn als Bundeshauptstadt ansonsten wenig Zeichenhaftes bot. Allzu einfach war es, in dem in fast jedem Tagesschau-Bericht leuchtenden Stern zugleich ein Symbol für die Wirtschaftskraft der Bonner Republik zu erkennen – was auf gewisse Weise zutraf, denn von Adenauer bis Kohl kam als Kanzlerlimousine keine andere Automarke in Frage.

Sprengung des Bonn-Centers am 19.7.2017 © Foto Art-Invest

Weniger Bedeutung hatte die geografische Mitte der Stadt, als das Bonn-Center mit dem Auszug des Hotels 1988 erst langsam, mit dem fortschreitenden Umzug der Bundesregierung dann immer deutlicher zu schwächeln begann. Der zunehmende Verkehr machte den Standort zu einer Insel, Verfall und Tristesse stellten seine Funktion in Frage. Auch wenn sich der Stern auf dem Dach weiter drehte, was sich darunter abspielte, machte dem eigentlichen Zentrum der Stadt keine Konkurrenz mehr.

Der abmontierte Mercedesstern liegt auf dem Dach des Bonn-Centers, 50 Jahre lang war er Wahrzeichen der Stadt. Foto © Uta Winterhager

Doch in der Bundesstadt, wie Bonn sich ohne parlamentarische Funktionen nennen darf, dauert es, bis Entscheidungen gefällt und Hoffnungen begraben werden. Längst war der mitten im ehemaligen Bundesviertel in die Höhe geschossene Post-Tower zum Wahrzeichen der neuen Bonner Geschichte geworden, als das Kölner Unternehmen Art Invest Real Estate das Bonn-Center 2014 aus einem Insolvenzverfahren übernahm. Die Aufsehen erregende Sprengung des Komplexes am 19. März 2017 machte schließlich Platz für Neues und bot den Bonnern die Gelegenheit, Abschied zu nehmen von einer längst vergangenen Vergangenheit.

Dieser Text ist ein Vorabdruck auch dem Buch „Ensembles“, das zum Jahreswechsel im Jovis Verlag erscheinen wird.

Uta Winterhager

Lesen Sie mehr zum Thema: Und täglich grüßt der Kanzler