Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Das zwölfte Kolumba

1919 49 69 ff. Aufbrüche
Wir haben die neue Jahresausstellung gesehen

Die Fassaden sind wieder frei von Gerüsten, die neue Jahresausstellung ist angelaufen – eine Zeit des Aufbruchs für Kolumba, und so lautet auch der Titel: „1919 1949 1969ff. Aufbrüche.“ Wir schauen hundert Jahre zurück und von dort auf unsere Zeit. Und stellen fest: Politische Aufbrüche sind oft gleichzeitig auch persönliche. … 1969 2019ff.

Die neue Jahresausstellung in Kolumba sortiert die Ausstellungsstücke nicht analog der vergangenen elf Schauen thematisch, sondern erstmalig chronologisch. Um ordentlich Unordnung zu stiften…

Schwirrendes Beziehungsdickicht: Die klaren, ruhigen Räume von Peter Zumthor halten es gut aus, wenn Vieles zusammenkommt, z.B. ein Sessel aus dem ersten Deutschen Bundestag von Hans Schwippert und der Schrein des Hl. Albinus aus St. Pantaleon © Lothar Schnepf, Kolumba, Köln

 


„Natürlich haben wir den Wechsel vermisst“, räumt Museumsleiter Stefan Kraus gleich zu Beginn der Pressekonferenz ein. Die Schau „Pas de deux“ in Partnerschaft mit dem Römisch Germanischen Museum blieb zwei Jahre – doppelt so lang wie üblich.

Zum zwölften Mal lernen wir ein neues Museum kennen. Bei der letzten Schau war den Exponaten viel Raum gegeben. Wenn der Besuch in Kolumba, ganz nach Zumthors Vorstellungen, wie ein Waldspaziergang  sein soll, dann war „Pas de Deux“ ein lichter Eichenwald mit viel Platz für den „Paartanz“. Jetzt ist es eher ein Dickicht, in dem es schwirrt und tönt, und hier und da ist eine Lichtung auftaucht.

 

Ventilator Mod. TFS 400a 1950er Jahre, Schenkung Werner Schriefers, © Lothar Schnepf, Kolumba, Köln. Propeller für D (re) von Victoria Bel © Lothar Schnepf, Kolumba, Köln

 

„Die Malerei ist am Ende. Wer kann etwas Besseres machen als diesen Propeller?“ Marcel Duchamp stellte diese Frage 1912; 2001 sieht der Blick auf den technischen Fortschritt so aus. Der Propeller für D (li) von Victoria Bell bildet den Auftakt zur Ausstellung.

 

Eine Zahl fehlt: 1989 – Aufbruch für Kolumba

„Noch nie haben wir so viele Werke und noch nie so viele Werke zum ersten Mal und aus der eigenen Sammlung gezeigt .“ Was Stefan Kraus hier erläutert, darf man ruhig in Fettschrift setzen: Das Dutzend Ausstellungen, das zwischen 2007 und 2019 in Kolumba zu sehen war, hat das Kuratorium weitgehend aus den eigenen Beständen bestücken können.

Die Ursprünge des Museum liegen in einer Sammlung des Christlichen Kunstvereins, die 1989 in die Trägerschaft des Erzbistums Köln überging. Das Team hätte also dieses Jahr das dreißigjährige Jubiläum einer außerordentlichen, kontinuierlichen Sammlungstätigkeit groß feiern können. Statt Selbstzelebration gab es aber nur die Erwähnung in einem Nebensatz. Die neue Ausstellung widmet sich den Aufbrüchen in der Kunst und in der Zeit.    

Franz Wilhelm Seiwert (1894 – 1933): Geschöpfe, um 1918 © Lothar Schnepf, Kolumba, Köln

 

1919

Erstmalig ist eine Schau chronologisch angeordnet, sie blickt 100 Jahre zurück und von dort auf unsere Zeit. 1919 ist das Jahr nach dem totalen Desaster, prägnant zusammengefasst im Titel eines Holzschnitts von Franz Wilhelm Seiwert: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, doch die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Aus der Verzweiflung heraus bricht etwas auf, wird aufgebrochen. Drei Künstlerinitiativen formieren sich 1919: Das Junge Rheinland, die Neukölnische Malerschule und das Bauhaus. Was haben sie gemeinsam? Die Kunstgeschichte hat sie sorgsam in Schubladen sortiert, aber die Kuratoren holen sie da heraus und zeigen die 20er Jahre „als Geflecht mit einer unglaublichen Verwobenheit,“ wie es Barbara von Flüe beschreibt.   

1949

Jeremias Geisselbrunns Muttergottes, die bisher die Besucher im Foyer begrüßte, ist ins zweite Obergeschoß gewandert. Sie stammt aus dem 17. Jh, doch hier, an der Schwelle zum Jahr 1949, steht sie in ihrer Eigenschaft als Opfer der Nazis. Sie wurde bei Bombenangriffen auf Köln zerstört und erst in den 1990er Jahren aus über 70 Bruchstücken rekonstruiert. Ihr Nachbar im Raum ist ein Telefon von 1933.

Ausgrabung mit der Kapelle Madonna in den Trümmern © Veit Landwehr, Kolumba, Köln

 

Ein zentrales Exponat zum Jahr 1949 ist die Kapelle Madonna in den Trümmern, die Gottfried Böhm über dem Trümmerfeld der einstigen Pfarrkirche errichtete. Die am Chorpfeiler stehende, unversehrte Muttergottesfigur – die „Madonna in den Trümmern – ist auf einem Foto in der Ausstellung zu sehen. Der Schutzbau um die Muttergottes war für Köln ein wichtiges Zeichen des Aufbruchs. Parallel zum Wiederaufbau erfolgte die „Remythologisierung“ der Stadt; ihr sollte versichert sein, dass sie an ein Überirdisches gebunden war. Neben dem Schrein des Hl. Albinus aus St. Pantaleon hängen Karl Hugo Schmölz‘ Fotos von der Schreinsprozession zum Kölner Domjubiläum 1948.

1969 ff. und heute

Welten entgrenzen sich, der herkömmliche Kunstbegriff löst sich auf, zumindest an den Rändern: Michael Buther zerfetzt seine Leinwand, anstatt auf ihr zu malen, Jürgen Paatz zupft sie vom Rahmen und hängt sie an den Handtuchhaken. Andere Ausstellungsstücke zeugen vom Aufbruch in fremde Kulturen und ferne Welten.

 

Das Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum. Ein Projekt von Ulrich Tillmann © Lothar Schnepf, Kolumba, Köln

 

Der Herbst, der nun kommt, ist eine gute Jahreszeit für Waldspaziergänge – in der Natur zum Beispiel, aber frische Luft für das Gehirn gibt es auch in Kolumba. Dafür sollten wir dankbar sein, denn sonst müssten wir uns mit den städtischen Museen zufrieden geben. Da ist das Gewächs derzeit eher mickrig.

 

Ira Scheibe