Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Parole: Kunst!

Köln rettet die Litfaßsäule

Stellen wir uns eine deutsche Großstadt Mitte des 19. Jahrhunderts vor, eine Welt noch ohne Fernsehen und Radio, vom Internet ganz zu schweigen. Wer in dieser Welt etwas zu sagen hatte, sagte es laut. Wer eine weitere Verbreitung anstrebte, griff zu Pinsel und Papier oder warf die Druckerpresse an, um seine Botschaft zu vervielfältigen. Und dann wurde gekleistert: Parolen, Aufrufe, Botschaften – Kommt! Kauft! Kämpft! An Wände, Mauern, schlichtweg überall hin wo sich eine Fläche dafür anbot. Und plötzlich wurde das Wildplakatieren zu einem Problem in einer Welt, die doch eben noch so geordnet war. Ausgerechnet ein Berliner Drucker hatte die rettende Idee, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Ernst Litfaß schlug dem Polizeipräsidenten von Berlin, Karl Ludwig von Hinkeldey vor, überall in der Stadt einfache dicke Säulen aufzustellen, auf die die Plakate geklebt werden sollten. Nach jahrelangen Verhandlungen erhielt Litfaß am 5. Dezember 1854 die erste Genehmigung für seine „Annoncier-Säulen“, von denen im folgenden Jahr bereits 100 Stück in Berlin aufgestellt wurden.

Litfaßsäule mit Krönchen und Plakatmotiv von Maurits Boettger aus der Serie 360° Stillstand am Standort neben dem Wallraf-Richartz-Museum © Foto: Barbara Schlei

Die kommerziell betriebenen Werbeträger, die als Litfaßsäulen bald den Namen ihres Erfinders trugen, verbreiteten sich schnell – erst in Deutschland, dann über die ganze Welt. Zu ihrem Erfolg beigetragen hat auch, dass die Inhalte der Plakate, die sie trugen, einer gewissen (politischen) Kontrolle unterlagen, außerdem durften sie in der angemieteten Zeit nicht überklebt werden. Interessant ist, dass Architekten Dach und Fuß des Hohlzylinders, der meist einen Durchmesser von etwa 1,4 Metern hat, der jeweiligen Epoche stilistisch anpassten. Und auch der Hohlraum des Zylinders sollte nicht ungenutzt bleiben, ob nun als Notausstieg für unterirdisch verlaufende Kanäle wie in Wien oder als öffentliche Toilette wie seit 2015 in Nürnberg.

Werbung für Kunst

Auch technisch ließ sich da noch einiges bewegen, so stehen in Köln seit einiger Zeit leuchtende und drehende Exemplare, die die einfachen Litfaßsäulen irgendwie alt aussehen ließen. Doch genau diese Dickbäuche haben viele liebgewonnen, so lieb sogar, dass die Stadt Köln entschieden hat, nicht alle 200 einfach zu entfernen, sondern 25 (die Standorte finden Sie unten) von ihnen als Kunstsäulen zu erhalten – eine Idee, die zuvor noch i keiner anderen Stat umgesetzt worden ist.. Einen erfolgreichen Probelauf hatte es bereits 2015 in Kooperation mit der Kunsthochschule für Medien (KHM) und dem Medienhaus Ströer gegeben, darunter auch der Beitrag der Künstlerin Vera Drebusch mit dem Titel „Nothing but the Truth“. Seit Ende März 2019 wird die Aktion „Kunst an Kölner Litfaßsäulen“ fortgesetzt, geplant ist, dass sie bis 2029 läuft. Sie biete, so die Stadt, den Kölnerinnen und Kölnern die wohl unmittelbarste Form kultureller Teilhabe, indem künstlerische Werke im ganzen Stadtgebiet verteilt jeden Tag sichtbar gemacht werden. Es komme hiermit zu unerwarteten Begegnungen mit Kunst und hoffentlich zu vielen Gesprächen darüber, was Kunst ist und was der öffentliche Raum für seine Bürgerinnen und Bürger sei.

360° Stillstand

Im Januar 2020 wurde das erste Motiv der zweiten Generation auf die 25 Kölner Kunstsäulen geklebt. Vorangegangen war ein vom Kulturamt betreuter Wettbewerb, aus dessen Einreichungen Motive ausgewählt wurden, die für eine Laufzeit von zwei bis drei Monaten plakatiert werden. Die Plakatserie 360° Stilltand wurde von Maurits Boettger entworfen und zeigt jeder der 25 Kunstsäulen ein eigenes Motiv. Zu sehen ist die Umgebung der jeweiligen Säule, aus ihrer eigenen Perspektive heraus. Eine Momentaufnahme, die irgendwann in der Vergangenheit entstanden ist, dieselbe Umgebung, dieselben Häuser und Bäume. Aber es ist klar zu erkennen, dass eine zeitliche Lücke zwischen Bild und Realität besteht. Es stehen sich zwei auseinanderdriftende Zeitstränge gegenüber. Die Betrachtenden müssen die „zeitliche Lücke“ durch Erinnerung und Rekonstruktion selber füllen.

Als Träger kommerzieller Werbemotive sind die Litfaßsäulen nicht mehr zeitgemäß, als Träger von Kunst im öffentlichen Raum sind sie in einer Zeit, die gerne über Nach- und Umnutzung nachdenkt – wirkliche Pioniere. Wir mögen die bekrönten Dickbäuche, je mehr Lagen (Kunst) darauf kleben umso schöner werden sie. Das nächste Motiv wird im März 2020 geklebt – wir bleiben dran.

Uta Winterhager

Standorte der Kunstsäulen

1 Kunstsäule Bickendorf Akazienweg. /Grüner Brunnenweg

2 Kunstsäule Raderberg Am Husholz (12) / Brühler Str.

3 Kunstsäule Holweide Berg.-Gladbacher-Str. / Märchenstr.

4 Kunstsäule Neu-Brück Elisabeth-Langgässer-Str. / An St. Adelheid

5 Kunstsäule Nippes Erzbergerplatz / Schillstr.

6 Kunstsäule Humb./Gremberg Gießener Str. / Taunusstr.

7 Kunstsäule Marienburg Gustav-Heinemann-Ufer / geg. Bayenthalgürtel

8 Kunstsäule Buchforst Heidelberger Str. 18/Dortmunder Str.

9 Kunstsäule Zollstock Markusstrasse / Höninger Platz

10 Kunstsäule Ossendorf Hugo-Eckener-Str./Köhlstr.

11 Kunstsäule Chorweiler Florenzer Str. 2/ Athener Ring

12 Kunstsäule Longerich Longericher Hauptstr. / Heckweg

13 Kunstsäule Innenstadt-Süd Marsilstein / Am Rinkelpfuhl

14 Kunstsäule Innenstadt-Süd Martinsfeld / Am Trutzenberg

15 Kunstsäule Seeberg Matareweg / Ludwig-Gies Str.

16 Kunstsäule In-Süd Neumarkt geg. Cäcilienstr.

17 Kunstsäule Innenstadt-Süd Poststr. / Großer Griechenmarkt

18 Kunstsäule In-Nord Reichenspergerplatz / Weißenburgstr.

19 Kunstsäule Sülz Remigiusstr. / Lotharstr.

20 Kunstsäule Innenstadt Richartzstr. / An der Rechtschule

21 Kunstsäule Porz Röntgenstr. / Franz-Hitze-Str.

22 Kunstsäule Rodenkirchen Siegfriedstr. / Sürther Str.

23 Kunstsäule Neu-Ehrenfeld Ehrenfeldgürtel / Eichendorfstr.

24 Kunstsäule Humb./Gremberg Taunusstr. geg. Wattstr.

25 Kunstsäule In-Süd Volksgartenstr. / Eifelplatz

Nachtrag

Nach „360° Stillstand“ des Kölner Künstlers Maurits Boettger sind seit 23. März 2020 die „Bodenproben“ von Johannes Post zu sehen. Seine gestalteten Litfaßsäulen erwecken den Eindruck, als seien sie gerade dem Erdboden entnommen. Was sonst stets unter dem Asphalt verborgen ist, wird ans Tageslicht geholt. Der Künstler offenbart einen Blick auf das Unterirdische, was neben jeder Menge Erde auch die ein oder andere Überraschung birgt.

Im Rahmen der nun laufenden zweiten Ausschreibung der Stadt Köln können sich Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland wieder mit ihren Motivvorschlägen für die Gestaltung der 25 Kunstsäulen bewerben. Auch Kuratorinnen und Kuratoren oder in Köln verortete freie Kunsträume und Initiativen sowie städtische Museen können Künstlerinnen und Künstler vorschlagen. Die Kosten für die zweimonatige Plakatierung der 25 Litfaßsäulen mit ein bis zwei Ganzsäulenmotiven inklusive Plakatdruck, Plakatierung und Pflege in Höhe von 3.500 Euro je Aktion übernimmt das Kulturamt der Stadt Köln, ebenso wie ein Honorar in Höhe von jeweils 500 Euro für die ausgewählten vier bis sechs Künstlerinnen und Künstler.

Einsendeschluss ist Donnerstag, 14. Mai 2020.