Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Tanzraum Kolumba

Für eine Sonderausstellung sind die Kunstwerke ins Depot gewandert und machen Platz für Choreografien.

Die Faszination des leeren Raums – im 13. Jahr seit der Eröffnung macht uns das Museumsteam von Kolumba ein besonderes Geschenk. Das gesamte licht- und luftdurchflutete Obergeschoß ist so gut wie leergeräumt, und wir bewegen uns in der reinen Architektur von Zumthors „Museum der Stille.“ Das allein wäre Grund genug für einen Besuch, aber die Begegnung von Architektur und Körper wird auch künstlerisch inszeniert.

Anne Teresa de Kersmaeker/ Rosas Dark Red, Kolumba

Choreografie – die Menschen beschreiben

Kolumba präsentiert bis November Tanzkunst in acht Kapiteln. Die Sonderausstellung „Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir“ verbindet Kunst und Choreografie. Das ist ein konsequenter Denkansatz, denn Tanz ist sozusagen Kunst minus Leinwand. „Choreografie – das heißt den Menschen schreiben oder beschreiben,“ sagt Anne Teresa De Kersmaeker, die mit ihrer Compagnie das erste Kapitel bestreitet.

Museumsdirektor Stefan Kraus beneidet den Tanz aus der Perspektive der Bildenden Kunst um seine Radikalität: „Denn allein ausgehend vom Körper und der Bewegung ist der Tanz Werkzeug, Mittel und Zweck, Form und Inhalt zugleich. Als Ausdrucksform existiert er – wie eigentlich alle Kunst – nur für den Moment,“ schreibt im Programmheft. Damit aber wenigstens etwas bleibt, wird es zu jedem Kapitel ein eigenes Künstlerheft geben.

 

Die „Zwölf Aposteln“ und ihre Zuschauer © Ira Scheibe

 

Es ist auch ein mutiges Vorhaben, ein bisher einzigartiges Experiment mit einem Format, das man weder im Museum noch im Tanz kennt. Entstanden ist diese Reihe „dank eines kleinen Zufalls,“ wie Kuratorin Barbara von Flüe erzählt. Sie sah das Stück Work/Travail/Arbeid der Compagnie Rosas in Brüssel und fragte an, ob es auch nach Köln kommen könne.

Anne Teresa de Kersmaeker/ Rosas Dark Red, Kolumba

Was schließlich aus diesem Kontakt hervorging, war dann aber nicht eine bereits bestehende und für Kolumba angepasste Choreografie, sondern ein komplett neues Format: ein speziell für diesen Ort geschaffenes Tanzkunstwerk. Mut zeigt das Team auch, indem es zulässt, noch keine klare Antwort zu haben, wie es nach November weitergeht.

 

El Grecos Aposteln tanzen in Zumthors Architektur

„Dark Red“ heißt das Stück der Belgierin Anne Teresa de Kersmaeker und ihrer Companie Rosas, das bis zum 20. September täglich von 12 bis 17 Uhr in Kolumba stattfindet, in Kooperation mit der Tanzbeauftragten der Stadt Köln, Hanna Koller. Die Zwölf Aposteln von El Greco mit ihren manierierten und rätselhaften Handhaltungen haben die Choreografin inspiriert; zwölf männliche Tänzer bewegen sich im Raum, den geometrischen Linien eines Dodekaeders folgend, der aus zwölf regelmäßigen Fünfecken gebildet wird.

 

Anne Teresa de Kersmaeker/ Rosas Dark Red, Kolumba

 

Zwei Musiker des ICTUS Ensembles spielen die zwölf Teile von Salvatores Sciarrinos „L’Opera Per Flauto“. „Für Sciarrino war das Atmen der einzige Ausgangspunkt, um Musik zu komponieren,“ erläutert De Keersmaeker, und das scheint auch für ihre Tanzkomposition zu gelten. Sie arbeitet oft mit einfachsten Bewegungen, und in diesem Stück gibt die Atmung den Takt vor für die Bewegungen der Tänzer, die sich mit den Bewegungen der Musik verbinden.

Anne Teresa de Keersmaeker kennt und schätzt den Zumthor-Bau schon seit längerer Zeit, und war nun besonders glücklich, hier arbeiten zu können. Begeistert hat sie vor allem die gute Lesbarkeit des Ortes, die gute Orientierung und dass die Räume so unterschiedlich erlebbar sind. Der Raum mit dem Oberlicht etwa könne erhebend wirken wie das Innere einer Kathedrale oder auch bedrückend wie ein Gefängnis.

 

Zeichnungen der Choreographin, rechts zum Stück in Kolumba © 9/2020 Kolumba, Köln / Anne Theresa De Keersmaeker

 

„Ich mag die Arbeit mit natürlichem Licht. Und ich bin kein Freund von Beton. Der Lehmputz, das ist die Erde, von der wir kommen und zu der wir gehen. Aber es gibt keinen Holzboden, was das Tanzen sehr anstrengend macht.“ In der ersten Etage, die zwar nicht ganz leer, aber sehr sparsam bestückt ist, sind Zeichnungen von Anne Theresa De Keersmaeker zu sehen: „Es sind konkrete, praktische Werkzeuge, um Zeit und Raum im Stück zu organisieren,“ erläutert die Künstlerin.

 

Tanzen mit Corona

Zwar ist der Anstoß zu diesem Projekt 2018 entstanden, doch es scheint wie für Corona gemacht – auf mehreren Ebenen, zunächst auf der rein praktischen. Da die Kunstwerke in den oberen Geschossen weitgehend ausgeräumt wurden, kann auf Luftkonditionierung komplett verzichtet werden. Die großen, hohen Räume werden von oben mit Frischluft belüftet, die die Aerosole herabdrückt, und diese werden dann abgesaugt. Natürlich gelten dennoch die Maskenpflicht und Abstandsregeln.

In den sparsam bestückten Räumen des 1. OG lässt sich gut nachspüren, wie sich Architektur und Körper begegnen. © Ira Scheibe

 

Auf der konzeptionellen Ebene geht es darum, neue Möglichkeiten der Teilhabe an Kulturveranstaltungen zu entwickeln. „Gerade in dieser für die Kultur schwierigen Zeit ist es wichtig, ihr einen Raum zu geben und Formate zu überdenken“, sagt Stefan Kraus. Und schließlich gibt es auf der inhaltlichen, künstlerischen Ebene eine besondere Aktualität. „Wir haben Angst vor den Körpern anderer Menschen und vor unseren eigenen, und wir kennen sie nicht. Im Moment erleben wir, dass wir einsam werden müssen, um uns zu schützen und um zu überleben,“ beschreibt De Keersmaeker unser derzeitiges Köpererleben. Kolumba gibt Raum, zu spüren und zu reflektieren, wie sich menschliche Körper im Raum und zueinander bewegen.

 

Architektur und Körper

Und das ist Zumthors ureigenes Thema. In seinem Buch Architektur Denken schreibt er: „Architektur hat ihren eigenen Existenzbereich. Sie steht in einer besonderen Verbindung mit dem Leben. In meiner Vorstellung ist sie zunächst weder Botschaft noch Zeichen, sondern Hülle und Hintergrund des vorbeiziehenden Lebens, ein sensibles Gefäß für den Rhythmus der Schritte auf dem Boden, für die Konzentration der Arbeit, für die Stille des Schlafs.“ Und im Falle von Kolumba für Nachdenklichkeit auch in neuen künstlerischen Formaten. Sein neues Kolumba wird ihm bestimmt gefallen, wenn er im November kommt, um die leider immer noch nicht behobenen Probleme mit der Ziegelfassade zu begutachten.

 

Ira Scheibe

 

 

Alle Termine auf einen Blick

  • Kapitel 2: Richard Tuttle, ab 24. September
  • Kapitel 3: Esther Kläs, ab 1. Oktober
  • Kapitel 4: Duane Michals, ab 8. Oktober
  • Kapitel 5: Bernhard Leitner, ab 15. Oktober
  • Kapitel 6: Hannah Villiger, ab 22. Oktober
  • Kapitel 7: Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt) (Nicole Baginski, Tanja Geiß, Patrick Henkel, Eva Kot’átková, Susanne Kümpel, Andreas Maus, Michael Müller, Anna Rossa), ab 29. Oktober
  • Kapitel 8: Heinz Breloh, ab 5. November

Eine Kooperation von Kolumba und tanz.köln