Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Was bleibt, ist der erlebte Moment“

Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir – Kunst und Choreografie in Kolumba. Im Gespräch mit Dr. Stefan Kraus

Nach drei von acht Kapiteln „Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir“ in Kolumba sprachen wir mit Dr. Stefan Kraus, dem Direktor des Museums, über Anlass, Beobachtungen und Folgen des außergewöhnlichen Konzeptes Kunst und Choreografie.

In Kolumba wird getanzt – befindet sich das Museum im Ausnahmezustand?

Dr. Stefan Kraus: Kolumba ist eigentlich immer im Ausnahmezustand. Normalerweise starten wir am 14. September mit einer vollständig neuen Ausstellung. Für die 13. Jahresausstellung haben wir uns in Kooperation mit tanz.köln und dessen Leiterin Hanna Koller ein ganz anderes Verfahren gewählt und arbeiten nun im Prozess, was auch unter Coronabedingungen sehr gut funktioniert. Bis auf wenige Werke haben wir unsere Sammlung ins Depot gestellt, um den Auftakt im leeren Haus zu machen. So wird das Augenmerk zunächst allein auf die Präsenz der Körper im Tanz gerichtet. Woche für Woche werden wir ein neues Kapitel vorstellen, um im Laufe des Jahres Tanz und Bildende Kunst auf Augenhöhe zu feiern. Mit dem anfangs leeren Haus haben wir noch etwas sehr Schönes erreicht, nämlich dass man die Architektur selbst als Körper viel stärker wahrnimmt.

Szene aus Kapitel 2: Richard Tuttle, »Ten Kinds of Memory and Memory Itself«, 1973, jeden Samstag 15 Uhr aufgeführt durch Studierende des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Tanz, Köln © Foto Stefan Kraus

Die Ausstellung oder das Projekt … wie betiteln Sie Ihre Kooperation mit tanz.koeln?

Beide Etikettierungen greifen eigentlich zu kurz. Was uns motiviert, ist zu zeigen und entsprechend auch zu sammeln, dass Film, Fotografie, Malerei, Skulptur, Tanz, Schauspiel, Literatur etc. fließende Übergänge haben. Allein mit dem Namen Kolumba passen wir in keine Kategorie. Wir verstehen uns als lebendes Museum, Änderungen in der Werkauswahl sind möglich, das steht auf der Rückseite unseres Kurzführers und diese Offenheit nehmen wir ernst.

Können Sie den Titel „Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir“ erläutern?

Dieser Titel wurde uns geschenkt. Er bezieht sich auf eine Arbeit der Schweizer Künstlerin Hannah Villiger, mit deren Nachlass wir uns seit Jahren beschäftigen. Darin trifft sie genau den Kern dessen, was wir mit dieser Ausstellung beabsichtigen: Das Ich ist etwas, das von innen herausgeht, etwas, mit dem ich durchaus auch auch spielen kann. Das Mir ist die umgekehrte Perspektive, die Außensicht, die mir entgegengebracht wird. Und in diesem Verhältnis halten wir uns mit den acht monografischen Positionen dieses Jahresthemas auf.

Szenen aus Kapitel 3: Gustavo Gomes und Esther Kläs, Performance TON, 30.9.2020 © Foto Stefan Kraus

Konnten Sie beobachten wie die Choreografen, die Tänzer und Tänzerinnen sich mit den Räumen in Kolumba auseinandergesetzt haben?

Anne Teresa De Kersmaeker, der Choreografin des ersten Kapitels, ist in ihrer Arbeit schon früh das Unbehagen daran gekommen, dass der Tanz auf der Bühne immer in einer Art Blackbox stattfindet. Das hat mich sehr an unsere Anfänge erinnert, an das Unbehagen am White Cube. Deshalb konzentrierte sich unsere Arbeit mit Peter Zumthor darauf, eine markante Architektur zu schaffen, die ebenso konkrete wie ideale Voraussetzungen für alles bietet, was inhaltlich darin stattfindet. Bei uns hat De Kersmaeker sich zum ersten Mal auf einen spezifischen Ort eingelassen, um dafür eine neue Produktion zu entwickeln. Sie hat sich intensiv mit der Geometrie des Gebäudes beschäftigt und obwohl sie ihre Choreografie „Dark Red“ auf die Apostelbilder von El Greco bezogen hat, war sehr deutlich, dass es um eine fast schon physische Auseinandersetzung mit der Architektur geht. Es gab Situationen, da schien es, als wollten die Tänzer in der Wand verschwinden. Es war wunderbar zu sehen, wie De Kersmaeker das Gebäude gelesen hat, und wie sie dem mit den 13 Tänzern ihrer Compagnie Rosas einen Ausdruck gegeben hat.

Szenen aus Kapitel 3: Gustavo Gomes und Esther Kläs, Performance TON, 30.9.2020 © Foto Stefan Kraus

Welche Rolle spielen die Besucher während der Performances?

Wer die Blackbox ablehnt, der lehnt auch das klassische Verhältnis von Auditorium und Bühne ab. Das macht De Kersmaekers Arbeit für uns so spannend. Aber grade in Coronazeiten stellt sich die Frage der Sphäre, des Abstandhaltens, man muss eine Veranstaltung wie diese ja auch verantworten können. Erst in der Probenwoche sahen wir, wie die Choreografie in unser Haus hinein adaptiert wurde. Erst da ließ sich klären, wie wir mit dem Publikum umgehen können. Wir haben nie mehr als 120 Personen eingelassen, das ist für ein Haus mit 1600 Quadratmetern und der Möglichkeit einer hunderprozentigen Frischluftzufuhr nicht zu viel. Das Publikum war aufgefordert mitzumachen, die Hygienevorschriften einzuhalten und zu den Tänzern beim Durchwandern der z.T. gleichzeitig ablaufenden Situationen Abstand zu wahren.

Dreigesicht, Süddeutschland 17. Jahrhundert, Lindenholz mit Resten alter Fassung, H 131,5 cm © Kolumba

Die Figurengruppe der Heiligen Dreifaltigkeit war das erste Objekt dieser Ausstellung.  Wie fügt sie sich in den Kontext ein?

Schauen Sie sich die Schrittstellung dieses Dreigesichts an, die Gestaltung des Gewands, diese Trinität befindet sich in einer heftig-kreisenden Bewegung. Es war unser Wunsch, die Skulptur im ersten Ausstellungsgeschoss aufzustellen, während im zweiten Geschoss die Compagnie Rosas tanzt. Das bemerkenswerte Dreigesicht wird das ganze Jahr über »tanzen« aber im vierten Kapitel werden sich Raum und Kontext verändern. Es war immer schon unser Thema, Querverbindungen zeitgenössischer und »alter« Kunst in unserer eigenen Sammlung zu suchen. Die Sehnsucht nach Formen von erlebbarer Spiritualität ist uralt. Der Tanz ist ein archaisches Medium, das in seinen Ursprüngen immer rituellen, spirituellen Charakter hatte. In unserer Religion ist das vielleicht in Vergessenheit geraten obwohl das Zweite Vatikanische Konzil sich bewusst darüber war, dass die Liturgie die Verbindungslinien zum Tanz aufgreifen und er eine größere Rolle darin spielen sollte.

Was wird von diesem 13. Jahresthema bleiben?

Ich beneide den Tanz darum, dass er den ganzen schönen Ballast, den ein Museum in Form einer Sammlung hat, nicht braucht. Beim Tanz ist Mittel und Zweck und Form und Inhalt eins. Es braucht nur den Körper, die Tänzerin, den Tänzer, und wenn ich das radikal nehme, eigentlich nichts weiter. Der Tanz bringt auf den Punkt, was in jeder Auseinandersetzung mit Kunst das Wesentliche ist: Was bleibt, ist der erlebte Moment. Dennoch hinterlässt auch der Tanz Spuren. Wir legen großen Wert darauf, alles, was durch Unachtsamkeit im Gebäude entsteht, zu entfernen. Aber bei allen Spuren, die die Kunst hinterlässt, z.B. auch bei den Nagellöchern, ist es wunderbar, dass sie da sind. Anna Teresa De Kersmaeker hat eine große Bodenzeichnung auf den Terrazzo gemacht, diese Linien werden erst nach und nach verschwinden. An den Wänden, die zum Teil heftig betanzt wurden, hat der Schweiß Spuren auf dem Lehmputz hinterlassen. Das ist für diese Ausstellung ein schönes Detail; wie wir nachher damit umgehen, werden wir sehen. In der Anschauung von Peter Zumthor ist die Architektur nicht das Reine und Makellose, sondern etwas, das durch die Spuren des Gebrauchs noch gewinnt. Das Aroma der Benutzung, so nannte er das einmal, entwickelt im Kontext der Kunst eine ganz besondere Qualität.

Uta Winterhager

Die kommenden Termine:

Kapitel 5: Bernhard Leitner, ab 15. Oktober

Kapitel 6: Hannah Villiger, ab 22. Oktober

Kapitel 7: Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt) (Nicole Baginski, Tanja Geiß, Patrick Henkel, Eva Kot’átková, Susanne Kümpel, Andreas Maus, Michael Müller, Anna Rossa), ab 29. Oktober

Kapitel 8: Heinz Breloh, ab 5. November

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