Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft

Architektur Lesen II: Graphic Novels erzählen Architekturgeschichten

Was tun in diesem Monat, der zwar nicht immer so grau ist wie sonst üblich, aber wenig Unterhaltung außerhaus erlaubt. Lesen ist gut. Und Lesen bildet. So haben wir uns sehr gefreut, dass uns nach Brüsel, einem Souvenir, erworben im Brüsseler Comic-Museum, nacheinander zwei Exemplare dieses relativ neuen Genres geschenkt wurden. Für meinen Mann gab es im Mai „SCHWANZER Architekt aus Leidenschaft“ und für mich im September „Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan 1940 – 1942“. Der kleine Stapel dieser drei Exemplare lag schon eine Weile auf meinem Schreibtisch, als ihn nun, nach spontaner Recherche, noch zwei weitere Bände etwas höher und unübersehbarer werden ließen. „Wolkenbügel, Berlin im Rausch“ ist eine schmale Erscheinung, aber „MIES Mies van der Rohe – Ein Visionärer Architekt“ baut ordentlich auf.

Architekten lesen doch

Das Gerücht Architekten lesen nicht hält sich hartnäckig, obwohl wir Architektur-Autoren und Autorinnen ja täglich dagegen anschreiben. Aber wir wissen auch: ohne Bilder geht es zwar, aber nicht so gut. Was liegt also näher, als Architekturgeschichten mit Bildern zu erzählen. Da liefern das Schaffen der Protagonisten schon tolle Städte, Häuser, Räume, Möbel, alles was wir gerne sehen – mal werden die ganz naturalistisch dargestellt, mal abstrakt oder sogar zu irren Szenarien weitergesponnen. Doch all das muss mit Leben gefüllt werden, mit Charakteren, mit Beziehungen, mit Geschichten, die längst geschrieben sind. Um diese neu zu erzählen, lebendig und anschaulich werden zu lassen, setzen die Zeichner und Schreiber der Graphic Novels ein breites Spektrum an nicht nur genretypischen Kunstgriffen ein. Krasse Perspektiven bieten sich natürlich auf der zeichnerischen Ebene an, aber auch die Erzählperspektive muss erst einmal erfunden sein. Das kann der Enkel sein, dem Mies van der Rohe sein Leben erzählt, während beide im Flieger von Chicago zur Eröffnung der Neuen Nationalgalerie in Berlin sitzen, oder im Fall von Karl Schwanzer „der Herr wegen des Buchs“. Die Bücher, die ich hier in der kommenden Zeit vorstellen möchte, sind so unterschiedlich wie ihre Protagonisten. Doch um an dieser Stelle schon eines voranzustellen, sie sind trotz der Bilder nicht durchweg easy reading. Und ich gestehe, dass ich immer mal wieder nach Personen, Daten oder Projekten gesucht habe, um folgen zu können. Aber so habe ich auch einiges gelernt oder Vergessenes wieder aufgefrischt. Nur eines darf man nicht vergessen, selbst wenn die Geschichten vielleicht so wirken, es sind keine objektiven Berichte, denn sie fokussieren, sie dekorieren, sie spekulieren. Und das ist in dieser Form ihr gutes Recht.

Ein Foto diente als Vorlage für das Buchcover von Schwanzer © Birkhäuser

Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft

„Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft“ von Benjamin Swiczinsky lag eine Weile auf meinem Schreibtisch, während der mich das Cover zunehmend genervt hat. Da steht er im schwarzen Anzug mit roter Krawatte, stützt sich mit den Fingerknöcheln auf den Schreitisch und starrt mit einem unerträglich kritischen (oder wie sich hinterher herausstellen wird: eher zweifelndem) Blick auf sein Gegenüber. Grün der Hintergrund, gelb und groß „SCHWANZER“. Ja, das ist sein Name, aber irgendwie ist das alles zu viel geballte Männlichkeit allein schon auf dem Titel. Doch wie der Untertitel es direkt klärt, werden hier „Drei Jahrzehnte Architektur- und Zeitgeschichte“ erzählt. Das Buch ist sauber aufgebaut und dank der Einleitung wissen wir direkt, wann und wo wir uns befinden, nämlich in Wien Anfang der 1970er Jahre, als Karl Schwanzer die Zeit gekommen sah, sein Atelier mit einem Buch, das viel mehr als nur ein Werkbericht sein sollte, neu zu orientieren. Dieses weit über den eigenen Tellerrand hinausgehende Denken, das sich mit dem 1973 veröffentlichten Buch „Architektur aus Leidenschaft“ als sein Vermächtnis manifestierte, stand hinter all seinem Schaffen, in der Lehre ebenso wie in der Art, wie er Auftraggebern vollkommen neue Ideen präsentierte.

Ortsbesuch mit dem vermeintlichen Autor in München. Um die Vorstände erleben zu lassen, wie runde Großraumbüros funktionieren, hatte Schwanzer in den Bavaria-Filmstudions ein 1:1 Modell einer Etage bauen lassen – und den Auftrag bekommen. © Birkhäuser

Entstanden ist „Schwanzer“ 2018 auf Anregung von Martin Schwanzer (*1952), Karls jüngsten Sohn, der heute ebenfalls Architekt in Wien ist, um den 100. Geburtstag des Vaters zu honorieren. Der jedoch hatte sich im Sommer 1975 das Leben genommen, weshalb die erzählte Geschichte auch in dem Moment endet, als der Erzähler schockstarr seinen Kaffee auf Schwanzers Todesanzeige verschüttet. Umstände werden hier nicht erklärt, auch die 1941 zur Promotion eingereichte Arbeit wird anfangs erwähnt und von ihm selbst nachdenklich kommentiert mit „… und hab mit dem Thema eine Konzession an die Zeit gemacht …“, während andere Medien (dérive) seiner Position im Nationalsozialismus weitaus mehr Raum geben. Dass diese Punkte Erwähnung finden müssen ist klar, und es gelingt auch, sie in den Erzählstrang mit einzuweben, doch hier sind die Leser angestoßen, selbst zu recherchieren.

Schwanzers Geschichte wird lebendig erzählt, die farbliche Unterscheidbarkeit der Epochen hilft dem Verlauf folgen zu können ebenso wie die kleinen Hinweise auf Ort und Datum des Geschehens. Schwanzers Atelier war grün, so wie der Titel, dort trifft er sich mit dem vermeintlichen Autor zu Besprechungen, Situationen, die Benjamin Swiczinsky und Max Gruber (Lyriker, Filmautor und Regisseur) nutzen, um Abschnitte zu verknüpfen. „Über Ihre Familie haben wir noch gar nicht gesprochen …“ leitet über ins Private, doch Schwanzer selbst beendet den Exkurs – sichtlich unangenehm berührt – schon eine Seite später „Reden wir lieber über meine Anfänge als Architekt“.

Besuch im BMW Museum München, Rückblicke sind farblich gekennzeichnet. © Birkhäuser

Seine Arbeit als Architekt wird, getrieben von seinem unerschütterlichen Fortschrittsglauben, zunehmend spannender. Durch die Figuren in glaubhaft erfundenen Dialogen sehr direkt erzählt und von der Vision, bis zum fertigen Bauwerk (Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1962 / Philips-Haus, Wien 1964 / BMW Verwaltungsgebäude und BMW Museum, München 1973) in jedem Detail wunderbar gezeichnet, liest sich das Buch flüssig und es lohnt sich durchaus, immer mal wieder durchzublättern, denn viele der Seiten sind auch mit den hineincollagierten originalen Plänen und Fotos toll gestaltet. Man begleitet Schwanzer über 90 Seiten, triff Le Corbusier und Fritz Wotruba, man begeistert sich mit ihm für Neues und sieht die unendliche Fülle der Möglichkeiten, feiert Erfolge, aber man leidet auch mit ihm, wenn der Druck unerträglich wird, große Ideen scheitern, die  Einsamkeit ihn, der kaum alleine war, oder das schlechte Gewissen den Familienvaters und Ehemann quälen. „Mit der Lösung eines Problems ist man verkettet bis zur Selbstaufgabe. Man vergisst alles um sich herum, vergisst zu essen, zu schlafen, zu lieben.“ Nachdenkliche, schwarzweiß illustrierte Zitate wie dieses, werden immer weider eingeschoben, lassen das dunkle Ende vielleicht schon vermuten.

Die Geschichte von Karl Schwanzer hat durch die Umsetzung von Benjamin Swiczinsky als Comic große Eindringlichkeit und Menschlichkeit bekommen, eine Empfehlung zum Schauen und Lesen.

Uta Winterhager

Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft – Drei Jahrzehnte Architektur- und Zeitgeschichte
Benjamin Swiczinsky
Birkhäuser Verlag, Basel 2018
96 Seiten
ISBN 978-3-0356-1852-5
29,95 Euro

Demnächst hier:

Charlotte Perriand – Eine französische Architektin in Japan 1940-1942 von Charles Berberian