Es ist ein eher schmaler Band, in einem eindrucksvollen Format, das an die gute alte LP-Hülle erinnert – wie gemacht für die Deckenansicht des Ungerschen Bibliothekskubus, die als Coverfoto ausgewählt wurde. Doch es ist keine spezielle Hommage an „OMU“, dass die Monografie zu seinem Wohn- und Atelierhaus in Köln-Müngersdorf als (fast) quadratisches Buch auf dem Tisch liegt. Das Quadrat spielte schließlich in Ungers‘ Spätwerk eine besondere Rolle, als „Ordnungsform in den Wirren der Welt“, wie Wolfgang Pehnt im Essay schreibt. Es ist einfach nur ein schöner Zufall: das typische Format von Axel Menges‘ Reihe „Opus“ zu handverlesenen Bauwerken von besonderer Bedeutung.
In einem Haus ein ganzes Schaffen
Das Haus in der Belvederestrasse war das erste von dreien, die Ungers für seine Familie baute, und „kein Einfamilienhaus dürfte in Nachkriegsdeutschland und darüber hinaus so viel Aufsehen erregt haben“ wie dieses, so Pehnt. Auch als es schon fertig war, bereitete es dem Architekten noch viel Kopfzerbrechen: Nichts sei quälender, als im eigenen Haus wohnen zu müssen, wird Ungers oft zitiert. Jeden Tag nach dem Aufstehen arbeitete er sich gedanklich daran ab und überlegte, was er hätte besser machen können. Eigene Häuser zu bauen, war laut Pehnt „angewandte Hausbauforschung“ für Ungers und eine Möglichkeit, der Welt seine Vorstellungen vorzuführen, wie Architektur sein sollte.
Daher lohnt es sich, pars pro toto in dieses Haus-Universum einzutauchen, um Ungers Architektur-Denken zu verstehen. Geführt wird der Leser von Wolfgang Pehnt. Er war bei der Familie Ungers oft zu Gast und kennt das Haus und auch die Gedankengebäude seines Erbauers. Und er spricht dessen Sprache – der Essay im Buch liest sich wie eine Essenz aus zahlreichen Gesprächen zwischen dem Autor und seinem Gastgeber.
Der Formenkatarakt und sein alter ego
Im Laufe seines Schaffens setzt Ungers mehr und mehr den Fokus auf die Architekturtheorie. Diese Entwicklung zeichnet sich auch an seinem Haus ab, und zwar zunächst ganz schlicht funktional: Wenn in den 60er Jahren zwei Einliegerwohnungen für willkommene Mieteinnahmen sorgten, wurden sie in einer späteren Phase dem Atelier zugeschlagen und als Bibliothek genutzt. Auf einem Teil des Gartens baut Ungers etwa dreißig Jahre nach dem Einzug einen eigenen Kubus für die Bibliothek an – ein neuzeitliches studiolo. Und Heute: eine der wichtigsten privaten Fachbibliotheken zur Architekturgeschichte.
Und natürlich zeigt sich diese Entwicklung auch in der Formensprache: Pehnt beschreibt das Wohnhaus aus den späten 50er Jahren als einen „Katarakt von Formen“, dem später der Kubus in seiner „geometrischen Unerbittlichkeit“ das ganz Andere hinzufügt. Die Veränderbarkeit des Hauses, so Pehnt, „war die Wandlungsfähigkeit einer definierten Gestalt, nicht die hurtige Variabilität eines funktionstüchtigen Umbausystems.“
Ein Buch, im studiolo zu lesen
Das zehnseitige Essay liefert eine Einordnung des Hauses in Ungers‘ gesamtes Schaffen und stellt dessen grundlegende Aspekte vor: das Haus als Stadt, die Verantwortung gegenüber dem Ort, das Verfahren der Variation, das Haus im Haus. Auch biographische Lebensstationen kommen zur Sprache sowie die Tradition der Künstlerhäuser und „Kritiker und Gesinnungsgenossen.“ Dafür ist die Hausbesichtigung im Text ist für einen ortsfremden Leser vielleicht etwas knapp geraten, doch anhand der Grundrisse und Abbildungen kann er sich ein genaues Bild machen. Bernd Grimm, Künstler und Architekt in Ungers‘ Atelier, hat zusätzlich zu den Originalgrundrissen Pläne erarbeitet, die die Überlagerungen von einem Bauzustand zum nächsten wiedergeben und somit die Veränderungen klar ablesbar machen.
In diesem Buch über Ungers‘ Wohnhaus in Müngersdorf wird ein weiter Kreis gezogen vom Planprozess eines Einzelwerkes – dokumentiert mit Ideenskizzen und Grundrissen – über den architektonischen Bestand hin zur Architekturauffassung von Oswald Mathias Ungers. Darin liegt der große Verdienst der Publikation: nicht mit kiloschwerem Gewicht und Hunderten von Seiten aufzuwarten, sondern klug zu wählen und zu strukturieren und dem Leser ein Format anzubieten, das genau in einen Winternachmittag passt. Es wären gut investierte Stunden, um die detailreichen Pläne zu studieren, anhand der Abbildungen aus verschiedenen Jahrzehnten das Haus zu besichtigen und sich in den Text von Wolfgang Pehnt zu vertiefen, der die Architektur zum Reden bringt.
Ira Scheibe
Opus 80, Oswald Mathias Ungers, Haus Belvederestraße 60, Köln-Müngersdorf. Mit einem Essay von Wolfgang Pehnt und Fotografien von Walter Ehmann, Bernd Grimm, Dieter Leistner und Stefan Müller. 64 S. mit ca. 70 Abb., deutsch / englisch, Edition Axel Menges, Stuttgart 2016, 36,– Euro, ISBN 978-3-932565-80-9
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