Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Lernen im Grünen

Neubau der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Longerich von Ackermann + Renner Architekten

Es sei, so Oberbürgermeisterin Henriette Reker das „bisher größte Schulbauprogramm aller Zeiten für Köln“. Zwei Sonderprogramme wurden in den letzten Jahren vom Rat beschlossen, im ersten wurde eine Investitionssumme von 520 Millionen Euro bewilligt, im zweiten noch einmal 1,7 Milliarden Euro, so eine Pressemitteilung vom August 2020. Mit dieser Schulbau-Offensive, die mit GUs und TÜs umgesetzt wird, sollen rund 22.000 Schulplätze in Köln gesichert oder zusätzlich geschaffen werden. Neben zahllosen Sanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen gab es zu dem Zeitpunkt 91 Neubau-Großprojekte im Stadtgebiet.

Eingangshof mit separaten Zugängen zur Schule und zur Sporthalle © Foto: Werner Huthmacher

Eine der 2020 fertig gestellten Schulen ist die Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule im Nippeser Stadtteil Longerich, sie ist jedoch nicht Teil der großen Offensive. Der Standort ist für Köln und für eine Schule außergewöhnlich, er liegt in einem Naturschutzgebiet. Wiesen Felder und Gewässer rund um den Ginsterberg trennen Longerich und Weidenpesch, wobei die Übergänge von Grün zu Stadt über Kleingartenkolonien im Norden und Friedhof im Süden fast fließend sind. Im Westen allerdings, wo sich jenseits der Bahn das Industriegebiet verdichtet, ist der Bruch hart. Der viergeschossige Schulbau steht am Kopf der Ossietzkystraße im Grünen und wäre Deutschland derzeit nicht schon wieder einmal im Lockdown, würden hier rund 850 Schülerinnen und Schüler und ein gut hundertköpfiges Lehrerkollegium anzutreffen sein.

Lageplan der Carl-von-Ossietzky Gesamtschule © Plan Ackermann + Renner Architekten

Häuser und Bäume

2010 wurde die Carl-von Ossietzky-Gesamtschule gegründet, bezog Interimsquartiere in früheren Hauptschulen zunächst in Riehl, später in Longerich. 2012 lobte die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln einen nichtoffenen zweiphasigen interdisziplinären Wettbewerb zum Neubau der Schule aus. Die Jury unter Vorsitz von Stefan Rettich zeichnete damals den Entwurf „Schule im Park“ des Berliner Büros Ackermann + Renner Architekten mit dem ersten Preis aus, der im April 2020 fertig gestellt wurde. Eine vierzügige Gesamtschule mit inklusivem Ganztag und Dreifeldsporthalle ist eine komplexe Bauaufgabe mit einem umfangreichen Raumprogramm. Diese auf einem Gelände zu errichten, auf der zuvor eine Förderschule für 300 Schüler gestanden hat, macht den Entwurf deutlich schwieriger, denn das Grün drumherum gehört, wie oben beschrieben, ja zum Naturschutzgebiet.

Südlicher Pausenhof mit Lernzone im Freien © Foto: Werner Huthmacher

Ackermann + Renner gliederten den Schulbau mit insgesamt 15.000 qm BGF in drei große quaderförmige Volumen, die sie an den Ecken überlappen ließen. So erzeugen sie einen komplexen Baukörper mit zahlreichen Vor- und Rücksprüngen, der sich mit seiner grünen Umgebung zwar verzahnt, aber nicht eins zu werden sucht, da der rechte Winkel das Gebaute deutlich vom Gewachsenen trennt. Die beiden Schulgebäude sind viergeschossig, Innenhöfe dienen neben der natürlichen Belichtung und Belüftung auch der Orientierung und Kommunikation, die große Sporthalle wurde ein Geschoss abgesenkt, erscheint in der Ansicht also nur eingeschossig. Rund um die Schule liegen verschiedene Freibereiche, für Sek 1 und Sek 2 mit unterschiedlichen Spiel- Sport und Sitzangeboten, eingefasst im historischen Baumbestand, der sich im sogenannten Experimentierwäldchen noch einmal verdichtet.

Grundriss Erdgeschoss © Plan Ackermann + Renner Architekten

Schaulaufen

Die Annäherung an die Schule erfolgt über die Ossietzkystraße, in der straßenbegleitend geparkt wird, Fahrräder können direkt vor der Schule abgestellt werden. Über den Eingangshof gelangt man, wendet man sich nach links, schwellenlos auf die Tribüne der Sporthalle, von der aus die Zuschauer des Sportgeschehens einen schönen Durchblick in das Experimentierwäldchen haben. Der Weg geradeaus führt in die großzügige Pausenhalle, den Verkehrsknotenpunkt der Schule. Mensa und Pädagogisches Zentrum schließen direkt daran an, geschosshohe Verglasung lässt Ein- und Ausblicke zu. Die Bibliothek liegt in der Sichtachse, beide Pausenbereiche (getrennt in Sek1 und Sek2) sind direkt erreichbar. Die Treppe ist mit Aufenthaltsplattformen großzügig und offen gestaltet, für die Architekten ein Ort des „Sehen-und-Gesehen-Werdens“, der mit der von der vom ersten bis dritten OG durchgehenden Pfosten-Riegel Verglasung auf den Innenhof eine besondere Dimension bekommt.

In beiden Schulhäusern liegen die Erschließungsflächen, die mit Sitznischen informell möbliert sind, rund um die verglasten Innenhöfe. Dunkle Flure gibt es hier nirgends. Im Südlichen, dem Eingangshaus befinden sich über Mensa und Forum im ersten Stock die Verwaltung und die Inklusionsräume, im zweiten die Klassenzimmer, ganz oben schließlich die Fachräume der Oberstufe. Die Unter- und Mittelstufe ist in Jahrgansinseln im nördlichen Schulhaus relativ autark organisiert. Der begrünte Innenhof im Erdgeschoss kann als Lese- und Lernhof genutzt werden. In den Obergeschossen sind In der Verlängerung der um den Innenhof liegenden Flure gut einsehbare Flächen für das Freie Lernen (auch Differenzierungsflächen genannt) ausgebildet.

Mehr Grün

Grün ist die Schule aber auch durch ihr nachhaltiges Energiekonzept. Mit der über eine Grundwasserwärmepumpenanlage gewonnenen Energie kann das gesamte Gebäude geheizt und das warme Wasser für die Duschen in der Sporthalle erzeugt werden. Strom gewinnt die Schule über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des Hauptgebäudes, Überschüsse werden in das öffentliche Netz eingespeist. Das Dach der Sporthalle ist extensiv begrünt.

Durch die Absenkung der Halle konnte im Norden eine großzügige Belichtung von oben umgesetzt werden, die gleichzeitig verschiedene Sichtbeziehungen ermöglicht: Kinder, die im Experimentierwäldchen spielen, können in die Halle hinab schauen während sich den Nutzern der Tribüne unverstellte Ausblicke auf den alten Baumbestand bieten. © Foto: Werner Huthmacher

Eins werden

Einheitliche, stark horizontal gegliederte Fassaden schließen die drei Baukörper zu einem Ganzen zusammen. Die geschlossenen Flächen wurden als vorgehängte hinterlüftete Fassade mit Glasfaserbeton-Latten in Silbergrau verkleidet. Drei verschiedene Oberflächen – matt (glatt gebürstet), sandgestrahlt und leicht sandgestrahlt – erzeugen dabei eine leicht bewegte Struktur.

Die transluzenten Gläser der Innenhöfe erzeugen ein farbiges Licht- und Schattenspiel in den angrenzenden Räumen © Foto: Werner Huthmacher

Einblicke, Ausblicke und Durchblicke begleiten Lernende und Lehrende durch ihre Schule, unterstützen die Orientierung im Gebäude und stärken im besten Fall sogar das Miteinander. Alle Räume, unabhängig davon, ob sie nun nach innen oder außen orientiert sind, profitieren von der großzügigen Verglasung. Den Blick ins Gründe haben die Ackermann + Renner zum Thema gemacht und mit Fensterscheiben in drei verschiedenen Grüntönen inszeniert. Dabei verwendeten sie für die Innenhoffassaden transluzente Scheiben, die je nach Sonnenstand und -intensität, Lichtspiele auf Wände, Böden und Leute erzeugen. In den Fensterbändern der Außenfassaden wurden opake Paneele eingesetzt, die teilweise auch Wandanschlüsse und Tragwerk kaschieren und dadurch eine gewisse Rhythmik erzeugen.

Sitznischen an der Haupttreppe mit Blick in den Innenhof © Fotos Werner Huthmacher

Die Sitznischen sind in demselben leuchtendhellen Grünton bezogen wie die Sitzmöbelblöcke, die an vielen Stellen im Schulgebäude gruppiert sind. Auch wenn das Grün kein harmonischer Ton ist, das Spiel mit der Farbe tut der Schule gut, wurde sogar zum Teil ihres corporate designs. Denn die Architektursprache ist eine erwachsene und wenn man es wollte, könnte das Schulgebäude, gerade weil es so kommunikativ angelegt ist, auch als HQ eines aufgeschlossen strukturierten Unternehmens nutzen. Im Schulbau bewegt sich also wirklich etwas.

Beteiligte: Ackermann + Renner Architekten GmbH, Berlin mit Schimmel – Beratende Ingenieure, Berlin / GRI Ges. für Gesamtverkehrsplanung, Regionalisierung und Infrastrukturpl. mbH, Berlin / w+p Landschaften, Berlin

Fotos: Werner Huthmacher, Berlin

Uta Winterhager

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