Diesen Beitrag hat unsere Autorin Ira Scheibe für competitionline.com verfasst; mit freundlicher Genehmigung mit der Redaktion stellen wir ihn hier zur Verfügung.
Seit über 20 Jahren gibt es in Köln eine breite Debatte über die Umgestaltung des Ebertplatzes. Zahlreiche Architekten der Stadt haben Entwürfe erarbeitet, und es gibt viel gemeinschaftliches Engagement von Nachbarschaft und Verwaltung.
Nun soll eine schnelle Entscheidung her. Am 23. März tagt der Rat der Stadt Köln, um zu beschließen, wie in Sachen Ebertplatz verfahren werden soll. Die Verantwortlichen favorisieren bislang ein VgV-Verfahren und die Lösungsfindung durch nur ein Planungsteam. Nachbarschaftsinitiativen und Architekt*innenverbände fordern eine möglichst große Bandbreite an Lösungsvorschlägen mittels eines Wettbewerbs.
Die beteiligten Initiativen sehen der Ratsentscheidung zum Verfahren mit Sorge entgegen. Bei einer Lösung für den „Angstraum Ebertplatz“, wie er in den Medien betitelt wird, scheint es vielen Mandatsträgern in erster Linie um eine Befriedung zu gehen und nicht um Verfahrensfragen. Kriminalitätsbekämpfung mittels Planierraupe? Das wären keine guten Aussichten für die Baukultur.
Eine brutalistische Verkehrsinsel
Es geht um einen sehr zentral gelegenen Kölner Stadtplatz. Der Ebertplatz ist Teil des halbkreisförmig um die Innenstadt verlaufenden Ringes. Gleichzeitig liegt er auf der historischen Nord-Südachse der Stadt, dem Eigelstein. Über ihn ist der Hauptbahnhof in knapp 10 Minuten zu Fuß zu erreichen, in der anderen Richtung liegt das Agnesviertel mit gründerzeitlichem Wohnen, Kölsch-Kneipen und Espressobars.
Gestaltet wurde die rund 8.000 qm große Verkehrsinsel Ende der 1970er Jahre vom Architekten Kurt Jatho. Das damals im Grunde schon überholte Konzept der „autogerechten Stadt“ sah eine Trennung von Auto- und Fußverkehr vor. Das Planungsamt unter Werner Baecker schuf eine abgesenkte, über Tunnel, Rampen und Treppenanlagen erschlossene Platzfläche.
Zeittypisch setzt die Materialauswahl konsequent auf Wasch- und Sichtbeton in polygonalen Formen, vor allem als Wabe: Pfeiler, Lichthof, Pflanzbeete – alles sechseckig. Die grüne Insel im Verkehrsstrom mit ihrer fast landschaftlichen, leichten Wellung bietet Haupt-, aber auch Nebenwege und öffnet sich in der Mitte zu einer weiten Lichtung. Kurt Jatho entwarf eine plastisch durchgestaltete Platzarchitektur, einheitlich im Duktus, großzügig weit, bürgernah und offen.
Rolltreppe abwärts
Anfangs lief es gut am Ebertplatz. Im Tunnel waren Läden, die Wasserkinetische Plastik von Wolfgang Göddertz sorgte für Lärmschutz, gutes Mikroklima und zufrieden planschende Kinder – alles in allem durchaus die urbane Wohlfühloase, die heute wieder entstehen soll. Doch dann versagte irgendwann die Pumptechnik am Brunnen, die Rolltreppen wurden nicht mehr repariert, Schäbigkeit machte sich breit.
Die letzten Ladenbesitzer gaben 2006 auf, als eine Querung auf Straßenniveau angelegt wurde. Die Unterwelt mit all ihren Fluchtwegen zog Drogendealer an, bei einem Streit kam ein junger Mann ums Leben, später gab es einen zweiten Todesfall. Die Medien stempelten den Ebertplatz zum „Unort“, gar zum „zombieapokalyptischen Umfeld“. Da beschloss die Stadt 2017 kurzerhand, die Passage zuzumauern. Doch dazu kam es nicht.
Upcycling für den Ebertplatz
Stadtmenschen aus der Nachbarschaft, aus Kulturinitiativen, der Kneipenszene und der Stadtverwaltung schlossen sich zur Arbeitsgruppe Ebertplatz zusammen, um in einem „Reallabor“ die räumlichen Möglichkeiten des Platzes zu erproben. Sie setzten den Brunnen in Gang, bauten Holzpodeste, einen Gastro-Container und stellten Liegestühle auf. Im Winter gibt es eine Eisbahn, bei Draußen-Wetter Musik und Lesungen, und in den Ladenlokalen sind Galerien eingezogen, die davon profitieren, hier keine regulären City-Mieten zahlen zu müssen. Die Zwischennutzung ist über 2021 hinaus bis zum Beginn der Bauarbeiten beschlossen.
Wie soll er aussehen, der neue Ebertplatz? Über zwei Forderungen sind sich alle einig: Die Südseite des Platzes soll an den Eigelstein angebunden werden, und es soll eine direkte, hindernislose Querung über die Platzfläche ins Agnesviertel entstehen. Kölns Stadtentwicklung ist seit 2007 an dem von Albert Speer formulierten Masterplan ausgerichtet, und darin wird nachdrücklich empfohlen, durch Verfüllung „den Raum des Ebertplatzes wieder als konventionellen, gut begeh- und benutzbaren Stadtraum zurückzugewinnen.“ Doch es gibt auch viele Gegenstimmen und -argumente: Im Hinblick auf das CO2-Konto der Baubranche sollte die Bestandswahrung im Vordergrund stehen. Auch ist der Platz eine wichtige Existenz als Zeitzeuge und Gegenthese zu den glatten und gesichtslosen Anlagen aus Naturstein, die vielerorts entstehen. Und überhaupt ist die raue und robuste Waschbeton-Architektur dem Ort sehr angemessen und kann viel Reibungsfläche bieten für kreative Zukunftsszenarien.
Ideenwettbewerb oder Planungsauftrag?
Über diese Zukunft wird nun entschieden: Das Fachgremium, der Stadtentwicklungsausschuss, hat jüngst eine Beschlussvorlage zum Ebertplatz ohne Votum in den Rat gegeben, der am 23. März tagt. Im Rahmen eines EU-weiten Verhandlungsverfahrens nach VgV soll ein interdisziplinäres Planerteam, das auf Grundlage seines Portfolios auszuwählen ist, mit dem Vorentwurf beauftragt werden.
Die Wahl und Ausgestaltung dieses Verfahrens wirft Fragen auf, denn ein so zentraler, stark frequentierter und ambivalent wahrgenommener Ort verdient einen offenen Ideenwettbewerb, mit dem ein breites Spektrum an Lösungsvorschlägen eingeholt werden kann. Ein solcher Prozess war auch in Vorbereitung, doch die politischen Gremien sind 2017 diesem Verwaltungsvorschlag nicht gefolgt. Angesichts der prekären Situation auf dem Platz und des ersten Todesfalls sollte eine schnellere Lösung her: das erwähnte Verhandlungsverfahren.
Gewiss sind die Vorfälle am Ebertplatz beklagenswert und dramatisch. Doch Stellhebel gegen soziale Missstände sind nicht in Verfahrensfragen zu finden. Es geht um die städtebaulich beste Lösung für den Platz. Der BDA Köln und andere Vereine und Initiativen forderten in den letzten Wochen in Stellungnahmen und Offenen Briefen einen breiten Wettbewerb der Ideen, der fortführt, was die Beteiligten in den letzten Jahren erarbeitet haben. Welche validen Gründe kann es geben, an der Beschlussvorlage festzuhalten? Zeitersparnis erhoffen sich die Verantwortlichen, und vielleicht lässt sich mit dem jetzt vorgeschlagenen Prozess tatsächlich ein Jahr gewinnen. Aber das ist ein schwaches Argument.
Auf die Frage, was gegen einen Wettbewerb spricht, antwortet Baudezernent Markus Greitemann nicht wirklich. Seine Stellungnahme lautet: „Eine Modifikation des Verfahrens, beispielsweise in Form eines vorgeschalteten Qualifizierungsverfahrens im Vorfeld des geplanten EU-weiten Verhandlungsverfahrens, ist zum jetzigen Verfahrensstand denkbar und umsetzbar.“ Möglich wäre also aus seiner Sicht lediglich, das vorgesehene Verfahren zu modifizieren; auf den Vorschlag, es neu aufzusetzen, geht Greitemann nicht ein.
Dass das Verfahren zu kurz greift, ist die eine Sache. Im Raum steht aber auch, dass es im Rat eine deutliche Präferenz für ein bestimmtes Ergebnis dieses Verfahrens gibt, nämlich für eine ebenerdige Anlage. In der letzten Woche schlugen die Wellen hoch, als die Lokalpresse meldete, selbst Bündnis 90 / Die Grünen würden sich dafür aussprechen. Doch Ratsmitglied Sabine Pakulat tritt dem entgegen: „Wir haben uns entschieden, der Beschlussvorlage zuzustimmen und geben einen Begleitbeschluss mit auf den Weg, der die Richtung des weiteren Verfahrens weisen soll.“ Diese Beschlussvorlage – das immerhin – trifft keine Vorentscheidung über eine über- oder unterirdische Lösung. Was genau im „Begleitbeschluss“ steht, wird erst in der Ratssitzung öffentlich gemacht.
Bleibt also abzuwarten, wie die Entscheidung kommende Woche ausfällt. Reinhard Angelis, Vorsitzender des BDA Köln, hebt noch einmal hervor: „Wir appellieren an den Rat, eine Entscheidung zum Verfahren zu treffen und nicht zur Architektur oder zum Städtebau. Wir appellieren, ein Verfahren zu wählen, das ein herausragendes Ergebnis verspricht und das die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Zwischennutzung als einen Schatz begreift, mit dem es weiterzuarbeiten gilt.“ Damit es am Ende doch noch gute Aussichten gibt für die Baukultur.
Ira Scheibe
UPDATE: Am Dienstag, dem 23.3.2021 haben nun die Ratsmitglieder fraktionsübergreifend und mit großer Mehrheit entschieden, dass entgegen dem Plan der Stadtverwaltung nun doch beide Varianten ausgearbeitet werden sollen. Die städtebauliche Grundidee und die zukünftige Nutzung sollen geklärt werden, es soll Expertengutachten zu Verkehr, Statik und technischer Umsetzung geben. Erst danach soll ein mehrstufiges Wettbewerbsverfahren mit Bürgerbeteiligung durchgeführt werden. Es ist wirklich erfreulich, dass diejenigen, die sich durch die Zwischennutzungen der letzten Jahre am Ebertplatz engagiert haben, gehört wurden. Jetzt heißt es: Machen! (uw)