Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

„Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“

Gastkommentar von Tobias Flessenkemper zur geplanten Neufassung des Denkmalschutzgesetzes in NRW

„Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“, so lautete das Motto des Denkmaljahrs 1975. Diese Initiative des Europarats führte in Nordrhein-Westfalen (NRW) zu einem fortschrittlichen Denkmalschutzgesetz, das prägende kulturpolitische Neuerungen möglich machte. Mit „Ruhr.2010“ etwa wurde die Industriegeschichte als demokratische Ressource erschlossen und die Zeche Zollverein als UNESCO-Weltkulturerbe positioniert. Die nun vorgeschlagene Neufassung des Denkmalschutzgesetzes verfehlt es, das Erreichte zu sichern und weiterzuentwickeln. Sie scheitert deutlich an den Ansprüchen, die an jede wirkliche Modernisierung gestellt werden müssen. Kurz: Dem Kultur-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen droht – im Bereich Denkmalschutz, -pflege, und -forschung – ein gravierender Relevanzverlust.

Zurückgesetzt von der Universitätsstraße wirkt die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln mit ihren Betonwaben und einem etwas versteckt liegenden Eingang sehr introvertiert. Von dem Stuttgarter Architekten Rolf Gutbrod zwischen 1964 und 1968 erbaut, ein Beispiel des Brutalismus. Ohne Denkmalschutz sind die „Betonmonster“ jedoch sehr verletzlich, insbesondere mangelnde Pflege macht ihnen stark zu schaffen. © Foto Uta Winterhager

Eine europäische Verpflichtung

Der vorliegende Gesetzesentwurf wird der europäisch-globalen Dimension des baulichen Erbes nicht gerecht, denn Denkmalschutz und -pflege bilden eine Verpflichtung der internationalen Kulturpolitik. Artikel 5 der Europäischen Kulturkonvention legt bindend fest: „Jede Vertragspartei betrachtet die europäischen Kulturgüter […] als Bestandteil des gemeinsamen europäischen kulturellen Erbes, trifft die erforderlichen Maßnahmen zu ihrem Schutz und erleichtert den Zugang zu ihnen.“ Im Zentrum stehen also seit fast 70 Jahren „Schutz“ und „Zugang“. Im Vorschlag der Landesregierung hingegen kommen „international“ und „europäisch“ nur fünfmal vor, im Gesetz selbst gar nicht. Explizite Verweise auf europäische Werte und Ziele fehlen völlig – insbesondere auf das Rahmenübereinkommen des Europarates über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft.

Das Ensemble aus Hörsaalgebäude, Universitätsbibliothek und der Grün- und Wasserfläche von Rolf Gutbrod, 1964-67 gleicht einer begehbaren Skulptur. Bereits 2013 sollte es unter Schutz gestellt werden, doch bis heute erfolgte kein Eintrag in die Denkmalliste, da die Universität dagegen geklagt hat. So lange es hier keine entscheidung gibt, werden statt der notwendigen Sanierung nur Netze zum Schutz vor herunterfallenden Bauteilen aufgehängt. © Foto Uta Winterhager

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wurde Anfang 2019 deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter, kurz darauf fiel Notre Dame in Paris einem Feuer zum Opfer. Am 3. Mai 2019 tagten die Kulturminister:innen in Paris und einigten sich auf eine sektorübergreifende europäische Kulturerbepolitik. Die Landesregierung von NRW ignoriert dies, genauso wie Initiativen des deutschen EU-Vorsitzes 2020 und die aktuellen Empfehlungen des Europarats zur Risikoprävention für Denkmäler. Allein schon die Beratung über den vorgelegten Entwurf würde dem europäischen Ansehen Nordrhein-Westfalens schaden. Die Landesregierung aber spricht von „veränderten Rahmenbedingungen“ – und meint damit Umweltschutz, Energieeinsparungen und Zugang, z. B. für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Doch diese Punkte können bereits im Rahmen bestehender Gesetze berücksichtigt werden. Der vorgelegte Entwurf wird den realen Veränderungsdynamiken nicht gerecht. Stattdessen droht er die Chance zu verpassen, Denkmalschutz als moderne gesellschaftliche Aufgabe zu leben, den Klimaschutz zu stärken und zum Erhalt der gebauten Umwelt als Ressource beizutragen (wie von Europa Nostra empfohlen).

Deckenuntersicht aus dem Eingangsbereich der Universitätbibliothek © Foto Uta Winterhager

Eine neue Zeitgrenze

Selbst Grundlegendes soll entsorgt werden, so will man Artikel 1 (1) des jetzigen Gesetzes ändern. Heute gilt in NRW: „Denkmäler sind zu schützen, zu pflegen, sinnvoll zu nutzen und wissenschaftlich zu erforschen. Sie sollen der Öffentlichkeit im Rahmen des Zumutbaren zugänglich gemacht werden.“ Das bestehende Recht erweitert den „Schutz“ aus der Europäischen Kulturkonvention, um „pflegen“, „sinnvoll nutzen“ und „wissenschaftlich erforschen“. Alle drei Aspekte vergrößern und verbessern den Schutz des Denkmals. Die Denkmäler im Land sind nach internationalem Recht nicht allein „historisch-kulturelles Erbe des Landes“. Denkmäler sind vielmehr ein Schlüssel zu unserer europäisch-globalen Identität, auch für die nachwachsende Generationen.

Im Inneren ist der Komplex deutlich lichter als seine Hülle es vermuten lässt © Foto Gregor Zoyzoyla

Artikel 1 (1) des neuen Entwurfs stellt die Zusammenhänge auf den Kopf: „Der Denkmalschutz und die Denkmalpflege liegen im öffentlichen Interesse. Es ist Aufgabe von Denkmalschutz und Denkmalpflege, die Denkmäler wissenschaftlich zu erforschen und das Wissen über Denkmäler zu verbreiten sowie nach Maßgabe dieses Gesetzes Denkmäler zu schützen und zu pflegen. Dabei ist auf eine sinnvolle Nutzung hinzuwirken.“ Statt des Denkmals wird nun dessen Verwaltung – gesichtslos und transaktional – in den Mittelpunkt gerückt. Kernbegriffe sind nun „Interesse“, „Aufgabe“ und „Wissen“, was nicht zwangsläufig in den Schutz eines Denkmals mündet. Damit droht eine Abkehr von europäischen Grundwerten, wie sie auch im Europäischen Übereinkommen zum Schutz des architektonischen Erbes Europas (Granada-Konvention) festgelegt werden, der im Landtag 1986 ausdrücklich zugestimmt wurde.

Nichts kaschiert und immer noch im Originalzustand – Innenansicht der Bibliothek © Foto Gregor Zoyzoyla

Und so geht es weiter, Artikel 2 (1) des Entwurfs erweitert den Denkmalbegriff um „aus vergangener Zeit“. Die geltende Regelung hingegen ermöglicht es, alle relevanten Zeitschichten in ihrem überregionalen Kontext zu würdigen. Eine neue Begrenzung könnte viele (für das 1946 gegründete Bundesland prägende) Bauten schutzlos zurücklassen. Gleichzeitig provoziert der vorliegende Entwurf viele Interessenskonflikte: Alleinentscheider und Eigentümer sollen in Eins fallen sollen, denn Städte und Kreise als Denkmalbehörde würden damit oft über ihren eigenen Besitz befinden – auch dies könnte in einem jungen Bundesland besonders Bauten nach 1945 treffen. Man könnte versucht sein, Grundstücke in wirtschaftlich interessanter Lage anders zu „verwerten“. Dem Sanierungsstau würde die öffentliche Hand allzu leicht durch Neubau und „public-private partnership“ bzw. Rückmietgeschäfte begegnen. Damit wären, wie zahlreiche Gerichtsverfahren bereits jetzt belegen, Integritätsprobleme in Politik und Verwaltung vorprogrammiert. Die Neufassung des Gesetzes droht solche Interessenkonflikte (ohne Rekurs auf Fachämter und fachlichen und interesselosen Denkmalschutz) deutlich zu verschärfen.

Dem Beton setzte Gutbrod viel Grün entgegen – auch die Gartenanlage wäre als Teil des Ensembles unter Schutz zu stellen © Foto Robert Winterhager

Ein Rückschritt

Sorge bereitet auch die fehlende Transparenz: Das Ministerium sollte offenlegen, welche Außenstehende etwas vor dem förmlichen eingeleiteten Beteiligungsverfahren beigetragen haben. Welche Kontakte bestanden zwischen hochrangigen Personen mit Entscheidungsverantwortung, Lobbyisten:innen und sonstigen relevanten Dritten? Denn die Novellierung will nicht weniger, als das Gesetz „vollständig neu aufzustellen“. Das vom Ministerium 2015 beauftragte Evaluationsvorhaben hingegen hatte die Stärke des Denkmalschutzes in NRW festgestellt und keine vollständige Neuaufstellung empfohlen. (Der Landtag lehnt übrigens entgegen den klaren europäischen Empfehlungen ein Lobbyregister ab.) Schon das bestehende Gesetz von 1980 weist in die richtige Richtung. Verbesserungen können so im bestehenden Rahmen vorgenommen werden. Eine vollständige Neufassung jedoch bedeutet einen Rückschritt – und birgt weitreichende Risiken für Denkmäler, für die Zukunft der Vergangenheit des Landes Nordrhein-Westfalens. (11.4.21)

Überblick über sämtliche Stellungnahmen des Denkmalschutz bündnisses NRW

Ein Gastkommentar von Tobias Flessenkemper

Tobias Flessenkemper beschäftigt sich Jahren ehrenamtlich mit kultur- und denkmalpolitischen Themen als Sprecher der Arbeitsgruppe Nachkriegsarchitektur und Mitglied des Vorstands des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. Als Politikwissenschaftler (Alumnus der Universität zu Köln) ist er beruflich mit internationaler und europäischer Zusammenarbeit befasst.  

Vielen Dank und herzliche Grüße an moderneRegional, in deren Magazin dieser Beitrag hier zuerst erschienen ist!