Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Konjunkturbelebung durch Innovation und Baukultur

Ein Angebot der Planungs- und Bauwirtschaft: Der Vier-Punkte-Plan von Bundesarchitektenkammer und Bundesstiftung Baukultur

Die Bundesarchitektenkammer (BAK) und die Bundesstiftung Baukultur haben stellvertretend für die Planungs- und Bauwirtschaft heute in Berlin ihren Vorschlag für ein „Innovationsprogramm Baukultur“ in Form des nachfolgenden Vier-Punkte-Plans an die Politik übergeben:

Das schnelle Vorgehen der Politik bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ist zu begrüßen. Bei den nun anstehenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Krisenüberwindung kann die Planungs- und Bauwirtschaft einen wesentlichen Beitrag leisten, da ein hoher konjunktureller Wirkungsgrad durch die konsequente Umsetzung laufender, vorbereiteter und vorzuziehender Maßnahmen entfaltet werden kann. Sie kann so eine unmittelbare konjunkturelle „Lokomotivfunktion“ übernehmen, bei der eine direkte, dauerhafte Wertschöpfung überwiegend in der Region bleibt und vor allem kleine und mittlere Unternehmen gestärkt werden. Die nachfolgenden vier Punkte sollen dazu beitragen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage antizyklisch zu stimulieren und eine nachhaltige volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Wirkung zu sichern.

1. Zusätzliche Mittel für Innovation und Zukunftsprojekte

Die Corona-Krise muss Innovationsmotor für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen sein. Themenfelder sind z. B. die Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen, aber auch die Resilienz von Städten sowie neue Gebäudetypologien und immobilienwirtschaftliche Nutzungskonzepte infolge veränderter Arbeitsmodelle und Konsumgewohnheiten. Herausragende Stadtentwicklungsprojekte in Deutschland und Internationale Bauausstellungen bieten Podien und Referenzen für die Transformation von (Innen-)Städten hin zu vitalen Städten mit moderner Mobilität und vernetzten Quartierslösungen. Eine konsequente Unterstützung innovativer Ansätze kann Deutschland im Standortwettbewerb voranbringen und öffentliche wie private Bauherren wieder in die Position versetzen, mit ihren Bauten Vorbildcharakter zu zeigen.

Hiermit verbunden sind:

Transformation der Städte vorantreiben

Eine Transformation der Städte, beispielsweise durch eine Mobilitätswende, steht auf der Tagesordnung. So ist eine nutzergerechte Neuaufteilung der Verkehrsflächen vielerorts gefragt. Aufbauend auf dem veränderten Verkehrsaufkommen der Zukunft sollten den Kommunen entsprechende Mittel für den Ausbau der Infrastruktur für alle Verkehrsträger, auch Rad- und Fußverkehr, zur Verfügung gestellt werden. Die besonders von einbrechenden (Gewerbe-)Steuereinnahmen betroffene kommunale Ebene sollte in die Lage versetzt werden, weiterhin Investitionen in Infrastruktur- und Baumaßnahmen auszulösen und so aktive Gestaltungsoptionen der Zukunft zu nutzen. Die erkennbare Zunahme von Leerständen im Einzelhandel bedeutet einen weitergehenden Verlust von Attraktivität, Vielfalt, Vitalität und Funktionalität der deutschen Innenstädte. Ein Ausbau der Städtebauförderung und ein Innenstadtstabilisierungsfonds können dem entgegenwirken.

Förderung von Innovation und Experimenten

Für Zukunftsprojekte, wie eine Reihe von Standortkonversionen oder Internationalen Bauausstellungen, sind konsequent Maßnahme- und Entwurfsplanungen zu beauftragen. Nur durch ein vorausschauendes Entwicklungsmanagement lässt sich ein wirksamer Mittelfluss des Konjunkturprogramms gewährleisten. Ein eigener Innovationsfonds kann helfen, die digitale Transformation der Bauwirtschaft und anderer Branchen erfolgreich zu bewältigen, indem er gezielt solche Projekte fördert, die nachvollziehbar gesellschaftlich sinnvolle Experimente wagen.

2. Klimaschutz baulich umsetzen

Konjunkturelle Maßnahmen sollten direkt mit gesellschaftlichen und umweltpolitischen Anliegen verknüpft werden; hierbei sind die Folgen des Klimawandels prioritär. Der Bausektor kann hierzu unter allen Wirtschaftszweigen den größten Beitrag leisten. Notwendig ist ein Programm für nachhaltiges Wirtschaften, Klimaschutz und den laufenden ökologischen Wandel. Die Forcierung bestehender KfW-Programme zur Förderung der energetischen Sanierung und die gesetzliche Erleichterung ganzheitlicher Modernisierungsansätze können Bauaktivitäten auslösen und gleichzeitig klimapolitische Ziele realisieren. Bei diesem kreditfinanzierten Konjunkturprogramm hat die Nachhaltigkeit – und damit die Generationengerechtigkeit – eine herausgehobene Rolle, denn die Tilgungsgeneration wird so mit einem nachhaltigen Kapitalstock ausgestattet.

Hiermit verbunden sind:

Deutschlands Vorreiterrolle beim Klimaschutz erhalten

Die Klimaschutzziele können ohne Veränderungen in der Baubranche nicht erreicht werden, denn sie gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen, bietet aber gleichzeitig große Einsparpotenziale. Klimagerechtes Bauen, der Einsatz nachwachsender CO2-bindender Baustoffe bei Nachverdichtung, Neubau- und Sanierungsvorhaben sowie der Erwerb und die Sanierung von Bestandsimmobilien sollten daher noch stärker gezielt gefördert werden.

Innovationsanreize befristet verstärken

Eine hinreichende Förderung des privaten Bauengagements und die Abmilderung durch die Corona-Krise bedingter Finanzierungsengpässe privater und gewerblicher Bauherren ist dringend notwendig, damit die Lücke zwischen ursprünglich geplanten Maßnahmen und nunmehr ausgesetzter oder abgesagter Bauaktivität nicht weiterwächst.Zur Steigerung der Mitwirkungsbereitschaft von Haus- und Grundeigentümern und als Konjunkturmotor sollen Ausbauten zur Wohnwertsteigerung synergetisch betrachtet und mitgefördert werden.

© Grafik Bundesstiftung Baukultur

3. Vorliegende Planungen jetzt realisieren

Vorgesehene und vorbereitete Projekte sollten jetzt zügig umgesetzt werden. Die zeitliche Befristung der erforderlichen Konjunkturmittel führt hier zu entsprechendem Handlungsdruck. Die Bauwirtschaft kann aus einer gegebenen Beschäftigungssituation weiter Aufgaben übernehmen und ansonsten bevorstehenden Arbeitsplatzabbau vermeiden. Investitionen der öffentlichen Hand, die den langfristigen Strukturwandel fördern und private Investitionen auslösen, sind aktuell besonders sinnvoll. Stichworte sind neben dem klimagerechten Bauen und Nachhaltigkeit der Wohnungs-, Krankenhaus- und Schulbau und öffentliche Investitionen in die physische und digitale Infrastruktur, besonders in den Gebäudesektor sowie die Verkehrs-, Kommunikations- und Energienetze. KfW und Difu beziffern den bestehenden Investitionsrückstau bei der öffentlichen Infrastruktur im Jahr 2019 auf rund 138 Mrd. Euro, darunter allein in der Straßen- und Verkehrsinfrastruktur auf ca. 36 Mrd. Euro. Hinzu kommen bevorstehende Sanierungen im Bildungs- und Gesundheitswesen und bei der Bahninfrastruktur. So ist das im Koalitionsvertrag genannte „Tausend-Bahnhöfe“-Förderprogramm der Bundesregierung noch notleidend.

Hiermit verbunden sind:

Bezahlbares Wohnen und doppelte Innenentwicklung

Der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum hat sich durch die Corona-Krise nicht verändert. Es ist jedoch ein gewisser Attentismus bei Wohnungsbauunternehmen und bei Nachfragern auf dem Wohnungsmarkt zu erkennen. Viele Akteure warten zunächst ab, um besser abschätzen zu können, wie stark der Einbruch sein wird. Vor allem die Wohnungsbauunternehmen in öffentlicher Trägerschaft müssen jetzt voranschreiten und Nachfrageausfälle aus dem privaten Sektor kompensieren. Insbesondere bei Innenentwicklungen sind akzeptanz- und umweltverbessernde Maßnahmen zur Aufwertung des Stadtgrüns und der Biodiversität im Wohnumfeld gleichzeitig zu realisieren.

Gesellschaftlichen Zusammenhalt durch öffentliche Räume stärken

Die Bedeutung der öffentlichen Räume ist durch die Corona-Krise in den Fokus gerückt. Die Kommunen sollten finanziell dabei unterstützt werden, diese als Erholungsflächen und Orte der gesellschaftlichen Teilhabe, Kommunikation und Begegnung für die Bevölkerung zu qualifizieren und bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Diese Investitionen sind vom Aufwand-Nutzen-Verhältnis her besonders wirksam und kurzfristig umsetzbar.

4. Solide Basis für wirksame Konjunkturmaßnahmen schaffen

Konjunkturpolitik mit den oben genannten Schwerpunkten lässt sich nur realisieren, wenn alle Akteure in den Stand versetzt werden, die großen Herausforderungen auch tatsächlich schnell und sachgerecht umsetzen zu können. Die beschleunigte Vergabe und Genehmigung vorliegender und vorbereiteter Projekte hätte bereits für sich einen positiven Konjunktureffekt. Die befristete oder dauerhafte Verschlankung von Strukturen und Prozessen sollte gewährleistet werden.

Hiermit verbunden sind:

Engpässe bei Genehmigungsbehörden beseitigen

Kurzfristig müssen in Bauämtern und Behörden neue Ressourcen geschaffen werden, damit Konjunkturmaßnahmen erfolgreich umgesetzt werden können und nicht zu einer weiteren Verschärfung des Investitionsstaus führen. Durch gezielte Anschubprogramme für die kommunalen Bauverwaltungen könnten zum Beispiel bauordnungsrechtliche Kompetenzzentren zur schnellen Umsetzung der konjunkturellen Maßnahmen eingerichtet werden. Mittelfristig muss in die technischen Voraussetzungen für bessere Prozesse und schnellere Abläufe in der Verwaltung investiert werden. Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung kann durch Entbürokratisierung sowie die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung oder auch die Einbindung von freiberuflichen Planungsbüros in den Prozess erreicht werden.

Verfahrensbeschleunigung mit Augenmaß

In der Finanzkrise 2008/2009 haben sich zeitlich begrenzte Verkürzungen von Vergabefristen bewährt. Auch die Heraufsetzung der Wertgrenzen für den Baubereich führt im Einzelfall zu einer schnelleren Vergabe. Alle Maßnahmen zur Beschleunigung müssen die Sicherung von mittelständischen Strukturen, beispielsweise durch Einzelvergaben, im Blick haben. Auch wenn krisenbedingt Prozesse beschleunigt werden sollen, dürfen bewährte Methoden zur baukulturellen Qualitätssicherung nicht vernachlässigt werden. Wettbewerbs- und Beteiligungsverfahren und der Einsatz von Gestaltungsbeiräten bei Bauprojekten müssen gezielt gestärkt werden, um baukulturelle Werte für die Nachwelt zu schaffen und zu sichern.

© Grafik Bundesstiftung Baukultur

Qualifikation ausbauen

Durch gezielte Zuschüsse zu fachspezifischen Fortbildungsmaßnahmen kann die Qualifikation von Planerinnen und Planern der freien Wirtschaft wie auch der öffentlichen Verwaltung kurzfristig verbessert werden. Damit wird sowohl die Qualität der Planungsleistungen als auch die Qualifikation der Beschäftigten gefördert.

In ausgewählten Berufen des Planen und Bauens arbeiten in Deutschland über vier Millionen Beschäftigte. Hinzu kommen mittelbare Beschäftigungseffekte mit einem Faktor von 2,0 bis 2,5. In der ersten Phase der Corona-Krise konnten Freiberufler, Selbstständige und Unternehmen erfolgreich mit Zuschüssen, Förderkrediten und dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds unterstützt werden. Da die Planungs- und Baubranche mit Zeitverzug von der Corona-Krise betroffen sein wird, ist es wichtig, die Förderprogramme bis in den Herbst hinein zu verlängern, um Arbeitsplätze im Bausektor zu sichern.

Die vorgeschlagene Konjunkturbelebung durch Innovation und Baukultur bietet die Möglichkeit, einen hohen Nutzen für eine zukunftsfähige Daseinsvorsorge und Beschäftigung in Deutschland und Europa zu stiften.

Berlin, 26.05.2020



Das Innovationsprogramm wird mitgetragen durch:

AHO –Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e.V.
BDA –Bund Deutscher Architekten
BDIA –Bund Deutscher Innenarchitekten e.V.
BDLA –Bund Deutscher Landschaftsarchitekten e.V.
BDVI–Bund der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure e.V.
BFB –Bundesverband der Freien Berufe e.V.
DAI –Verband Deutscher Architekten-und Ingenieurvereine e.V.
DASL –Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung e.V.
Die Stadtentwickler Bundesverband e.V.
DV –Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V.
HDB –Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.
IfR –Informationskreis für Raumplanung e.V.
VBI –Verband Beratender Ingenieure e.V.
VDV –Verband Deutscher Vermessungsingenieure e.V.
VDMA Gebäudetechnik
VfA –Vereinigung freischaffender Architekten Deutschlands e.V.
VPB –Verband Privater Bauherren e.V.
ZBI –Zentralverband der Ingenieurvereine e.V.
ZDB –Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V.