Archiv des Kölner Architekturmagazins. 2000 - 2021.

Aufbruch oder Abbruch

Der Kunstraum Fuhrwerkswaage in Sürth bangt um seine Zukunft

Industriekathedrale – vielleicht trifft es das. Denn wer die Sürther Fuhrwerkswaage das erste Mal betritt, vor dem öffnet sich der Raum weit. Nach oben. Meterhoch sind die Fenster des schlichten Backsteingebäudes aus den 1920er Jahren. Und, ja, der erste Eindruck ist schon so etwas wie auratisch, sakral. Dabei hatte es hier 1989 noch sehr nach Arbeit ausgesehen, nach Schmutz, Staub und Hochregalen bis zur Decke. Jochen Heufelder erkannte den Wert des einstigen Umspannwerks trotzdem und machte aus ihm einen der experimentierfreudigsten Ausstellungsorte der Stadt. Dessen Zukunft nun, nach mehr als 30 Jahren, auf dem Prüfstand steht.

Vertrauen in die Kunst: „In art we trust“ steht auf der Ostfassade der Fuhrwerkswaage. © Foto: Annika Wind

Denn das Areal des einstigen Sürther Bahnhofs, dessen übrigen Gebäude schon 2008 abgerissen wurden, wird bebaut. Ob die Fuhrwerkswaage dann bleiben kann? „Wir lieben Ecken und Kanten in Köln“, heißt es auf der Homepage der Kölner WvM Immobilien + Projektentwicklung GmbH, die dem Förderverein des Kunstvereins den Mietvertrag gekündigt hat. Für den Kunstraum am Bahnhof, der kubisch ist – ausgerechnet. Zum 31. Dezember 2020 könnte nun Schluss sein mit dem Ausstellungsbetrieb in der Fuhrwerkswaage, die für Sürth längst mehr ist als ein nicht-kommerzieller Raum für Kunst. In der dunklen Jahreszeit hatten spektakuläre Lichtinstallationen an der Westfassade für Gesprächsstoff gesorgt und erst kürzlich der Skulpturenparcours „KunstHonig“ zwölf Gärten in Sürth miteinbezogen. Schirin Kretschmann ordnete hier eine akkurate Spiegelfläche aus Reitsattelfett auf dem Fußboden an und Manos Tsangaris komponierte der Halle ein eignes Musiktheaterstück. Die Fuhrwerkswaage ist nicht nur eine Kunsthalle, sondern auch ein Proberaum, Konzertort, Fotostudio und so etwas wie das kulturelle Zentrum des Stadtteils. Für dessen Erhalt zuletzt Politiker nahezu aller Kölner Fraktionen trommelten – ohne Erfolg. Auch ein Antrag auf Denkmalschutz wurde abgelehnt.

Da durch die Baumaßnahmen die Westwand keine Lichtkunst mehr zeigen kann, soll die Ostwand zur Open-Air-Galerie werden – zunächst mit diesen Aufnahmen aus dem Innern. © Foto: Heufelder

Dabei hatten die Mitglieder des Fördervereins jahrelang geglaubt, eine Art Vorkaufsrecht zu haben. Besitzer der Fuhrwerkswaage war bis 2016 die HGK, eine Tochter der Kölner Stadtwerke. „Wir hatten bereits mit dem damaligen Vorstand ausgehandelt, dass wir im Falle eines Verkaufs zumindest ein Gebot abgeben können“, sagt Heufelder. Doch so weit kam es nicht: Die Häfen und Güterverkehr Köln AG veräußerte das Sürther Bahngelände mitsamt Fuhrwerkswaage stillschweigend an einen Investor. Der Zuschlag ging so an den Kölner Kulturschaffenden vorbei.

Eine Lichtinstallation von Martin Pfeiffle auf der Westwand im Jahr 2015. © Foto: Heufelder

Heute ist das Areal in Besitz der WvM Immobilien + Projektentwicklung GmbH, die zurzeit 20 Objekte in Köln auf ihrer Internetseite bewirbt. Vom sanierten Altbau aus den 50er Jahren in der Pfälzer Straße bis zum Neubau mit 70 Wohneinheiten an der Subbelrather Straße. „Viele verschiedene Spezialisten grübeln täglich über Bauplänen, Kalkulationen, Vermarktungsstrategien und vielem mehr“, heißt es auf der WvM-Homepage. Deutschlandweit hätten über 100 Mitarbeiter ein Ziel: „Wohnraum zu schaffen und das Stadtbild in Köln, der Umgebung und in Berlin zu prägen.“ 

Durch Trennwände sind auch Gruppenausstellungen in der Fuhrwerkswaage möglich. Hier die Ausstellung „KunstLicht“ mit Skulpturen aus der Sammlung Oehmen. Foto: Heufelder

37 Wohnungen auf vier Etagen sind laut Investor nun in der Sürther Bergstraße geplant. Wer auf die Homepage des Projekts klickt, bekommt immerhin nicht nur das Rendering der beiden hier vorgesehenen Mehrfamilienhäuser angezeigt – sondern auch das Flachdach der Fuhrwerkswaage am linken, äußeren Rand. „Unverbindliche Darstellung“ steht allerdings daneben. „Ich bin aber guter Dinge, dass die Abrisspläne inzwischen vom Tisch sind“, sagt Heufelder, der mit prominenten Mitstreitern wie Gerhart Baum seit Jahren für den Erhalt des Kunstraums kämpft – der ehemalige Innenminister ist sogar Vorsitzender des Fördervereins. Nach mehreren Gesprächen stünde nun ein Kaufangebot der WvM im Raum: Der Förderverein kann die Fuhrwerkswaage erwerben. Für 500.000 Euro. Ob der Preis angemessen ist? Jochen Heufelder bewertet das öffentlich nicht. Aber er will dafür kämpfen, das Geld mit Spenden zusammenzubekommen. Denn ein Umzug sei für ihn undenkbar. Einen Ort wie die Fuhrwerkswaage gäbe es kein zweites Mal, sagt der Künstler und Kurator. „Die Stimmung, das Licht, sind einzigartig.“

Annika Wind